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AN DIE ARBEIT! Die Bewerbung

22:28
 
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Was für eine Gratwanderung! Wer sich um eine Arbeitsstelle bewirbt, muss eigene Ansprüche formulieren und zugleich versuchen, mögliche Erwartungen des Gegenübers zu erfüllen. Außerdem gilt: bloß nicht bedürftig wirken! Das war vor 200 Jahren noch ganz anders. Damals schrieben Jobsuchende noch richtiggehend Bettelbriefe. Von Justina Schreiber (BR 2023)

Credits
Autorin dieser Folge: Justina Schreiber
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Berenike Beschle, Florian Schwarz
Technik: Ruth-Maria Ostermann
Redaktion: Susanne Poelchau

Linktipps:

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Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.

Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:

TC 00:15 – Intro
TC 00:38 – In tiefster Untertänigkeit: Bewerben im 19. Jahrhundert
TC 02:40 – Die moderne Selbstvermarktung – Neugier statt Mitleid
TC 05:49 – Eigenlob hat früher noch gestunken
TC 08:29 – Die DNA einer Bewerbung
TC 09:40 - Der Ton macht die Musik und der Weg ist das Ziel
TC 14:05 – „Ich bewerbe mich für den Bekannten meiner Schwester Neffen“
TC 16:36 – Die Headhunter-Maschine KI
TC 17:37 – Top oder Flop: Der erste Eindruck zählt
TC 19:32 – Woran hat’s gelegen?
TC 19:13 – Outro

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

TC 0:15 - Intro

Podcast-Ansage:

Eine neue Arbeit suchen, sich um einen Job bewerben, das kann echt anstrengend sein: Wie präsentiere ich mich richtig? Was erwähne ich, was nicht? Klar, dafür gibt es Trainings und Ratgeber. Aber die nutzen ja auch andere. Wie also nimmt man potentielle Arbeit-“Geber“ für sich selbst ein? Bewerber und Bewerberinnen vergangener Zeiten gingen die Sache noch ganz anders an als wir.

MUSIK 1

"Andante Con Moto: Strings in E-Flat Minor" - Komponist: Nicholas Britell - Succession: Season 1 (HBO Original Series Soundtrack) - Länge: 1'26

TC 00:38 – In tiefster Untertänigkeit: Bewerben im 19. Jahrhundert

ZITATOR:

Euer königlichen Majestät nahet sich in tiefster Unterthänigkeit der Sohn des seit 50 Jahren in Stuttgart angestellt gewesenen Scharfrichters Näher als Waise, und erinnert die von seinem, in voriger Nacht durch einen Schlagfluß plötzlich hinweggerafften 75jährigen Vater, im Juli vorigen Jahrs, allerunterthänigst vorgebrachte Bitte, seinem einzigen Sohn sein Amt, das schon über hundert Jahre durch seine Voreltern begleitet worden, übertragen zu dürfen.

SPRECHERIN:

Ein Bewerbungsschreiben aus dem Jahr 1806. Das feudale Ständesystem weist jedem noch seinen gesellschaftlichen Platz zu: „Kaiser, König, Edelmann. Bürger, Bauer, Bettelmann. Schuster, Schneider, Leineweber. Bäcker, Kaufmann, Totengräber.“ Der alte Abzählvers beschreibt die festgefügten Hierarchien. Spielräume, sprich: Auf- oder Quereinstiegschancen deuten sich an, aber nicht für einen Henkerssohn. Irgendjemand muss die unehrenhafte Arbeit schließlich tun. Der junge Bewerber wird also vermutlich zu einer Art Vorstellungsgespräch geladen. Der Historiker Timo Luks erklärt, wie das damals ablief:

O-TON 01: (Luks)

„Da ging es um eine Inaugenscheinnahme, ob da jemand körperlich überhaupt fit ist, ob jemand einen gesunden Eindruck macht und dann im Grunde vielleicht zwei, drei Sätze, um jemanden kennenzulernen, also das hatte quasi nicht den Zweck über den Bewerber noch irgendwelche grundsätzlichen Sachen zu erfahren.“

SPRECHERIN:

Aber ist er tatsächlich so treu ergeben wie sein Bewerbungsschreiben nahelegt? Da steht er nun im Raum, der Anwärter auf den Job des königlichen Henkers. Er hat den Blick gesenkt, die Schultern hängen, er stammelt ein paar Worte und knetet den Hut in den Händen.

ZITATOR:

Allerunterthänigst … Bitte … sein Amt… schon über hundert Jahre durch seine Voreltern begleitet worden… übertragen… zu dürfen.

Musik 2

"Smells Like Sheep" - Komponist: Nichoals Britell - Album: The Big Short (Music from

the Motion Picture) - Länge: 1'00

TC 02:40 – Die moderne Selbstvermarktung - Neugier statt Mitleid

SPRECHERIN:

Wie sich die Verhältnisse ändern! Mehr als 200 Jahre später wäre eine solche Performance ein „absolutes No-Go“. Bewerber und Bewerberinnen müssen immer selbstbewusst auftreten, sagt der Karriere-Coach Klaus-Dieter Böse. Auch wenn sie es eigentlich nicht sind.

O-TON 02: (Böse)

„Das kann man aber lernen. Das mache ich auch mit meinen Klienten, wo ich sage: komm einfach mal in den Raum rein. Wie wirkt das? Ich übe mit denen Bewerbungsgespräche, wo man sagt: okay, wie sitzt jemand? Fällt der zusammen? Ist der nervös? Wo guckt jemand hin? Also, all das kann man lernen und darauf achten, wie stelle ich mich hin, dass ich schulterbreit stehe, dann habe ich einen besseren Halt in meinen Körper. Das sind so diese Kleinigkeiten, die man selber sehr gut machen kann.“

SPRECHERIN:

Das Individuum hat in der modernen Gesellschaft an Bedeutung gewonnen. Sich selbst zu optimieren, um die Chancen auf eine Stelle zu verbessern, das kam Bewerbern zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht in den Sinn. Vielleicht, dass sie sich vor dem Gespräch mit einem Kamm durch die Haare gefahren sind. Im Grunde aber hofften sie auf die Güte der Herren Brotgeber. Der Historiker Timo Luks hat sich in Archiven durch unzählige Bewerbungsschreiben gelesen:

O-TON 03: (Luks)

„Die Bewerber appellieren ganz oft an die „wohlmeinenden väterlichen Stadtmagistrate oder Stadträte“, die ihnen dann eine Schreiber-Stelle verleihen sollen. Also das ist so eine Idee von Obrigkeit, die sich sorgt und die sich kümmert. Und bei modernen Bewerbungen, die ganz entschieden auf Konkurrenz abheben, wird tatsächlich eher auf den eigenen Vorteil abgehoben. Wenn man mich einstellt, dann bringe ich dem Unternehmen was und das Unternehmen hat Vorteile von mir sozusagen. Die ältere Haltung kommt über so eine väterliche-verantwortliche Idee noch stärker und das ist ein anderer Aspekt des Menschen, der da betont wird.“

Musik 3

"Smells Like Sheep" - Komponist: Nichoals Britell - Album: The Big Short (Music from the Motion Picture) - Länge: 1'07

O-TON 04: (Böse)

„So eine schöne Selbstpräsentation baut man auf, wo man sagt: wer bin ich? Was hat mich in meiner Vergangenheit geprägt? War es der Job? Waren es die Eltern? Was habe ich über meinen beruflichen Werdegang Wichtiges gelernt? Dann gibt es immer die Regel, dass man die drei wichtigsten Kompetenzen sagt, die ich habe, die drei wichtigsten Stärken, die ich habe.“

SPRECHERIN:

Moderne Bewerber und Bewerberinnen müssen auf Zack sein, sagt der Laufbahn-Trainer Klaus-Dieter Böse. Ihre Selbstdarstellungen sollen bei potentiellen Arbeitgebern kein Mitleid, sondern Neugier wecken.

Wie? Die war mit 23 Jahren schon Projektleiterin für Strategieprojekte? Und was steckt wohl hinter ihrem „3-monatigen Erwerb sozialer Kompetenzen auf Ibiza“? Lücken, Pausen, Müßiggang haben in einem Lebenslauf so wenig zu suchen wie leere Seiten in einem Krimi. Aber bitte nicht übertreiben! Die Herausforderung lautet: vage zu bleiben, ohne profillos zu wirken. Dazu später mehr.

O-TON 05: (Böse)

„Der Lebenslauf ist das Interessanteste, was der potenzielle Arbeitgeber sich zuerst nimmt, sich anschaut, und dies muss fesseln. Das muss Informationen rübergeben und animieren zum Weiterlesen. Das heißt, ich brauche eine gute erste Seite, wo ganz klar hervorkommt, warum ich zu diesem Unternehmen, warum ich zu diesen Positionen, dieser Rolle, dieser Funktion auch tatsächlich passe.“

TC 05:49 – Eigenlob hat früher noch gestunken

Musik 4

"Andante Con Moto: Strings in E-Flat Minor" - Komponist: Nicholas Britell - Succession: Season 1 (HBO Original Series Soundtrack) - Länge: 0'40

ZITATOR:

Daß ich zu diesem Posten, der in meiner Wiege als meine Bestimmung angegeben wurde, geeignet seye, müßen meine seit mehreren Jahren im Namen meines Vaters geleisteten Dienstverrichtungen von jeder Art bestimmt darthun…

SPRECHERIN:

Der Anwärter auf den Stuttgarter Henkersposten weist in seinem Schreiben eher nebenbei auf die persönliche Eignung hin. Eigenlob stank damals nämlich noch gewaltig. Doch sollte der junge Mann seine Fähigkeiten deshalb unerwähnt lassen? Eine Bewerbung glich von Anfang an einem Balanceakt, sagt Timo Luks.

O-TON 06: (Luks)

„Die Bewerbung hat eine Eigendynamik des Redens von sich selbst, und das kann man bremsen und das kann man laufen lassen… Und das drängt aber tatsächlich immer in diese Richtung der Selbstdarstellung.“

SPRECHERIN:

„In eigener Sache“ lautet denn auch der Titel des Buches, das der Historiker 2022 veröffentlicht hat. Timo Luks beschreibt, wie sich aus der unterwürfigen Bewerbung ein kompliziertes Instrument im Leistungswettkampf des Jeder gegen Jede entwickelt hat. Es ging immer schon zwei Schritte vor und einen zurück.

O-TON 07: (Luks)

„Sehr schön kann man das in frühen Bewerbungen, in frühen Ratgebern ablesen: Die beinhalten immer noch die Entschuldigung, dass man jetzt von sich selbst redet, das wäre ja heute nicht mehr vorstellbar: „Entschuldigung, dass ich meine Vorteile hier zur Schau stelle!“ würden wir nicht schreiben in der Bewerbung.“

SPRECHERIN:

Nein. Bloß nicht, mahnt der moderne Karrierecoach:

O-TON 08: (Böse)

„Bewerbung ist Eigenmarketing, was man betreibt.“

MUSIK 5

"Lamentoso - Clarinets, Piano, Pizzicato Strings" - Album: Succession: Season 4 (HBO Original Series Soundtrack) - Komponist: Nicholas Britell - Länge: 0'50

SPRECHERIN:

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts trieb pure Not die Menschen dazu, sich gezielt und schriftlich um Anstellungen zu bewerben. Es gab noch keinen Sozialstaat. Und die Kommerzialisierung nahm zu, der Markthandel löste die Tauschgeschäfte ab. Man brauchte Geld, bares Geld in die Hand. Aus dem Militär entlassene Soldaten, gescheiterte Kaufleute und verzweifelte Familienväter mussten jetzt tatsächlich „in eigener Sache“ werben, auch wenn sie ihre Dienste eben nicht wie Kartoffeln oder Gemüse feilbieten wollten. Die frühen Bewerbungen folgen dem Muster klassischer Bittschreiben, sagt der Historiker Timo Luks. Zwar kursierte seit alters her auch der Begriff der Bewerbung:

O-TON 09: (Timo Luks)

„Der meint aber nichts, was sich irgendwie auf eine Stelle bezieht oder jedenfalls nicht nur. Wenn man sich bewirbt, dann bewirbt man sich um Freundschaft, um einen Gunstbeweis, um die Hand einer Frau oder einer Dame. Und in diesem breiten Feld kann man sich eben auch um eine Anstellung bewerben. Und der zweite Strang, der dann für die Stellenbewerbung wichtig ist, kommt tatsächlich eher aus der Tradition der Bittschreiben und Bittschriften. Dass man da gewissermaßen eine Obrigkeit oder ein höherstehendes Gegenüber bittet, um irgendeine Gunst oder irgendeine Gnade. Und in dem Zusammenhang kann man den eben auch um die Verleihung einer Stelle bitten.“

TC 08:29 – Die DNA einer Bewerbung

O-TON 10: (Böse)

„Wir brauchen den roten Faden, nicht nur in dem Anschreiben oder einem Motivationsschreiben, auch den roten Faden im Lebenslauf, was die DNA des Bewerbers darstellt.“

SPRECHERIN:

Die „DNA“ eines Bewerbers oder einer Bewerberin hat nichts mit Erbinformationen zu tun. Die moderne Coaching-Sprache meint damit den „Markenkern“ einer Person. Meist muss dieser für eine gute Bewerbung erst herausgeschält werden. Dazu ist es nötig, die eigene Biographie nach verwertbaren Details zu durchforsten. Ob dann der Trainerschein in rhythmischer Sportgymnastik zum „unique selling point“, also zum Alleinstellungsmerkmal wird, oder das Praktikum in Südostasien, ist im Grunde egal: Hauptsache, das Ego gewinnt an Kontur, sagt Klaus-Dieter Böse.

O-TON 11: (Böse)

„Ich steh mit jeder Bewerbung mit anderen Bewerbern im Wettbewerb. Und ich kann mich nur mit meiner Persönlichkeit, die ich besitze, was mich ausmacht, meine Individualität kann ich mich nur hervorheben. Und das ist das, was die Bewerber sich immer vor Augen halten müssen, gute Vorbereitung: zu wissen: Wer bin ich? Was kann ich? Und wo sind vielleicht auch meine Schwächen, die ich aber trotzdem gut integrieren kann und was motiviert mich?“

TC 09:40 – Der Ton macht die Musik und der Weg ist das Ziel

MUSIK 6

"Andante Con Moto: Strings in E-Flat Minor" - Komponist: Nicholas Britell - Succession: Season 1 (HBO Original Series Soundtrack) - Länge: 0'50

ZITATOR:

Eine so zahlreiche Familie wie die von meinem Vater hinterlassene ist, erfordert zu viel, als daß meine Mutter sich nicht mit Recht auf die Stütze ihres einzigen Sohnes verlassen sollte, und als Stütze kann ich ihr nur dann dienen, wenn ich in die Stelle meines Vaters eingesetzt werde.

SPRECHERIN:

Der junge Henker betont nicht nur die Bedürftigkeit seiner Familie. Er vermittelt auch, dass er seiner Mutter eine Stütze sein will. Unter Christen gibt es hier 100 Punkte. Umso mehr hat der gute Sohn die „Verleihung“ dieser Stelle verdient, nicht wahr? Das kurze Bewerbungsschreiben aus dem Jahr 1806 erhöht geschickt Zeile für Zeile den moralischen Druck, ein Argument ergibt sich aus dem nächsten. Folgende Frage stellt sich Arbeitgebern sicher öfter:

O-TON 12: (Böse)

„Hat der die Bewerbung denn selber geschrieben oder hat das jemand anderes gemacht?“

MUSIK 7

"Andante Con Moto: Strings in E-Flat Minor" - Komponist: Nicholas Britell - Succession: Season 1 (HBO Original Series Soundtrack) - Länge: 0'40

SPRECHERIN:

Nun, nicht jeder Handwerkersohn ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts des Schreibens mächtig. Professionelle Schreiber werden gern in Anspruch genommen, sofern man sie bezahlen kann. Sie beherrschen die notwendige Rhetorik aus dem FF, also auch die stilistische Zuspitzung eines Briefes, der dann in herabfallender Kurve förmlich auf den Knien endet.

ZITATOR:

Euer königlichen Majestät bitte ich in tiefster Unterthänigkeit um allergnädigste Übertragung dieses durch den Tod meines Vaters erledigten Postens.

SPRECHERIN:

„Ich freue mich auf eine Einladung zum Vorstellungsgespräch.“ Schreiben diese Floskel nicht alle? Kommt der Lebenslauf ein- oder zweispaltig besser? Und weil wir gerade dabei sind: Empfiehlt es sich eigentlich, das Anschreiben als Fließtext zu verfassen oder wirken eingerückte, mit Aufzählungszeichen versehene Blöcke dynamischer? Heute hilft auf die Schnelle das Internet weiter. Außerdem gibt es ja Karriere-Coaches wie Klaus-Dieter Böse.

O-TON 13: (Böse)

„Ich empfehle immer einfache Schlichtheit und nicht so Verspieltheit mit Haken oder mit Pfeilen. Leute können dort sehr kreativ werden, und ich finde immer, man muss immer dem Motto feiern so schlicht wie möglich. Auffallen soll im Endeffekt die Leistung und das Können des einzelnen Bewerbers.“

SPRECHERIN:

Der Weg ist nicht das Ziel, sondern eine Bewerbung soll den geschätzten Leser, die sehr geehrte Leserin zum Handeln bewegen: Lad mich ein! Gib mir die Stelle oder wenigstens eine Chance! Bewerbungen folgen grundsätzlich dem teleologischen Prinzip. Man stellt die eigenen Bedürfnisse, Leistungen und Bemühungen so dar, als liefen sie zwangsläufig auf die angestrebte Stelle zu. Im Laufe der Zeit hat sich allerdings der Bezugsrahmen verschoben.

ZITATOR:

Und ich glaube, im Vertrauen auf die allerhöchste Gerechtigkeitsliebe gerechte Ansprüche darauf machen zu können.

SPRECHERIN:

Der potentielle Chef muss nur noch zustimmen. Schließlich hat die zukünftige Einzelhandelskauffrau schon als Kind gern mit dem Kaufladen gespielt. Das echte Leben mag von Zufällen und Gelegenheiten beherrscht sein, ein perfekter Lebenslauf besteht aus stringenten biographischen Etappen. Einiges fällt logischerweise unter den Tisch, das krachend gescheiterte Projekt xy zum Beispiel. Anderes muss aufpoliert oder umfrisiert werden. Außer man hat eh schon immer alles nur unter Karriere-Gesichtspunkten betrieben: Studium, Auslandsaufenthalte, Freundschaften, Hobbys… umso besser, vermutlich! Denn eine Bewerbung ist eine Erzählung über die eigene Person, die sich an den vermuteten Erwartungen des Gegenübers ausrichtet. Ein bisschen zu pokern, gehört also dazu. Vor 200 Jahren setzten die Bewerber noch ganz klar aufs Herz.

O-TON 14: (Timo Luks)

„Mich hat's teilweise sehr beeindruckt, wie dann kleine Handwerker auf der Suche nach einer Schreiberstelle im Grunde so Mini-Autobiografien sind das fast, wenn man das mit heutigen Bewerbungsschreiben vergleichen würde, das heißt, die machen sehr viel deutlicher und plausibler, warum sie sich in einer bestimmten Lebenssituation für eine bestimmte Stelle bewerben. Dann werden die Familienverhältnisse ausgeführt, dann wird ausgeführt, was sie für Schicksalsschläge hatten, wie die Familie leidet, wie das Einkommen schwindet, wie die Preise steigen, also das Gesamtpaket von Lebenslage wird da erzählerisch aufbereitet und darin flechten die einfach ein, was sie wann wie an Ausbildungen und Qualifikationen haben. Und das ist überhaupt nicht der Kernbereich, sondern es geht im Grunde darum, die Person eingebettet in die Familie und in die sozialen Verhältnisse irgendwie verständlich zu machen.“

TC 14:05 – „Ich bewerbe mich für den Bekannten meiner Schwester Neffen“

MUSIK 8

"Fatherhood" - Album: The Tree Of Life (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Alexandre Desplat - Länge: 1'00

SPRECHERIN:

Bevor sich mit der Industrialisierung die moderne Arbeitsgesellschaft herausbildet, läuft vieles über Mundpropaganda. Einer hört von der schweren Erkrankung des Polizeidieners und empfiehlt sich sofort für dessen Amt, obwohl der Mann noch lebt. Bevor eine Sterbeanzeige erscheint, ist oft schon ein richtiggehendes Stellenkarussell in Gang gesetzt: Man bewirbt sich auf die vermutlich freiwerdende Position des vermutlich aufrückenden Nachfolgers des vermutlich bald dahinscheidenden Marktaufsehers oder Torsperrers. Oder ein Verwandter versucht stellvertretend, einen Fuß in die Tür zu kriegen.

ZITATOR:

Und übrigens dafür bürgen zu können glaube, dass mein Sohn sich dieser Höchsten Gnade durch seinen angewöhnten strengen Fleiß und bisher stets bezeigten Nüchtern- und Untadelhaftigkeit würdig zu machen sich thätigst beeifern werde.

O-TON 15: (Luks)

„Über dieses Weitergeben von Informationen und vor allem das Weitergeben von Bewerbern, wenn man so will, kommt man oft an die Stellen. Das heißt, da bewirbt sich gar nicht der Interessent selbst, sondern der Vater, ein wohlmeinender Onkel oder ein früherer Arbeitgeber oder dergleichen, schreibt im Grunde eine Art Empfehlung, die vom Tonfall total ähnlich ist wie das, was man selbst als Bewerbung schreiben würde, nur, dass sich eben der Bewerber nicht selbst bewirbt, sondern er wird beworben von jemandem anders.“

SPRECHERIN:

Um 1900 etabliert sich ein allgemeiner, dem heutigen vergleichbarer Arbeitsmarkt. Es gibt Berufsberatungen und Vermittlungsagenturen. In den Zeitungen erscheinen Stellenanzeigen sowie Gesuche. Viele Unternehmen verfügen inzwischen über eigene Personalabteilungen. Buchhandlungen verkaufen spezielle Ratgeberliteratur für Arbeitssuchende, etwa den Titel “Wie erzwinge ich mein Glück?“. Die Botschaft heißt jetzt, dass es an jeder einzelnen Person liegt, ob sie weiterhin zur Masse der Arbeitslosen gehört oder endlich einen Job findet. Nach dem Motto: aufpassen beim Löschen der Tinte mit Sand! Nicht, dass dem Direktor beim Öffnen des Bewerbungsschreibens ein halber Mittelmeerstrand auf den Anzug rieselt. Was können Arbeitssuchende seither nicht alles verkehrt machen! Nehmen wir als aktuelles Beispiel nur einmal die Sache mit der Suchmaschinenoptimierung. Kaum jemand schickt seine Unterlagen heute ja noch per Post oder radelndem Boten. Das Portfolio mit allem Pipapo wird auf den Bewerbungsportalen der Unternehmen digital hochgeladen. So sparen Jobsuchende Papier und Arbeitgeber menschliche Arbeitskraft ein.

TC 16:36 – Die Headhunter-Maschine KI

O-TON 16: (Böse)

„Wir müssen immer davon ausgehen, dass im Hintergrund mittlerweile die KI, die künstliche Intelligenz, diese Dokumente liest und entscheidet, anhand von vorgegebenen Stichwörtern: sind die vorhanden? Ja oder nein. Das heißt, ich muss gucken, dass ich die Fachbegriffe, die auch in der Stellenausschreibung gestanden haben, wie Stakeholder, Projektmanagement, Teamfähigkeit, Führungsverhalten, Kommunikationsstärke, das wären so Klassiker, die man in einer Stellenausschreibung findet. Und diese Begrifflichkeiten müssen sich dann wiederfinden in dem Anschreiben oder in dem Lebenslauf oder am besten in beiden Sachen.“

SPRECHERIN:

Ansonsten sortiert eine Maschine die „falsche“ Bewerbung gnadenlos aus. Egal, wie viele „unversorgte Kinder“ der arme Absender zu Hause haben mag.

Musik 9

"Lamentoso - Clarinets, Piano, Pizzicato Strings" - Album: Succession: Season 4 (HBO Original Series Soundtrack) - Komponist: Nicholas Britell - Länge: 0'25

ZITATOR:

Indem ich noch 8 unversorgte, sich sämtlich zu Haus befindliche Kinder, deren das älteste erst 15 Jahre alt ist, nebst einer Ehefrau zu ernähren habe.

TC 17:37 – Top oder Flop: Der erste Eindruck zählt

SPRECHERIN:

Die Bewerbung versucht eine Brücke zwischen Individuum und Arbeitswelt zu schlagen. Unter dem Druck der kapitalistischen Wirtschaftsordnung entwickelt sie sich zu einer komplexen Kulturtechnik der Selbstdarstellung: nur der oder die Beste kann gewinnen! Denkste. Zugleich erweist sich die hochformalisierte, standardisierte Textsorte als rigides Disziplinierungsinstrument. Dem wachsenden, sich stetig wandelnden bürokratischen Aufwand müssen die Bewerber eben auch gewachsen sein. Anfangs genügt noch ein Schreiben, dann wird die persönliche Handschrift wichtig. Ein Foto kommt hinzu. Zeugnisse müssen beigelegt, Referenzen genannt, Anschreiben und Lebenslauf voneinander getrennt werden. Nicht zuletzt kommt es auch noch auf den Auftritt beim Vorstellungsgespräch an.

O-TON 17: (Timo Luks)

„Im späten 19. und um 1900 spielt das eine Rolle, dass Sie dann wirklich eigene Kapitel haben in Ratgebern, die sagen: „okay, den Hut absetzen, aber in der Hand behalten. Niemandem Zeit stehlen, wenn man persönlich hinkommt, immer bereit sein, sofort zu gehen, wenn der Gegenüber scheinbar genug gefragt hat!“, also solche Ratschläge für das Verhalten im Kennenlernen, im Gespräch werden dann häufiger. Und in den Archivunterlagen selbst habe ich tatsächlich auch in der gleichen Zeit so im späten 19. Jahrhundert auch einige Verfahren gefunden, ich glaube, da ging es um so Aufsichtspersonen bei einem Armenhaus und also auch so halboffizielle Stellen. Und da gab es dann häufiger mal in so Bewerbereinschätzungen, in so vergleichenden Gutachten, die Bemerkung: ja, der sah noch ganz passabel aus in der Bewerbung, aber machte persönlich keinen günstigen Eindruck.“

MUSIK 10

"Smells Like Sheep" - Komponist: Nichoals Britell - Album: The Big Short (Music from the Motion Picture) - Länge: 1'16

O-TON 18: (Böse)

„Diejenigen, die aus den Universitäten rauskommen, die haben ja ein Career Coaching, was Universitäten heutzutage anbieten: wie bewerbe ich mich draußen? Die kriegen Kurse: wie präsentiere ich mich auf diesen sozialen Netzwerken? Was habe ich alles für Möglichkeiten? Die sind wirklich sehr gut darin. Die große Masse, die Probleme eigentlich hat, sind die, die sich lange nicht mehr beworben haben. Oder die sich fragen: warum kriege ich immer nur Absagen? Warum nimmt mich keiner? Warum werde ich nicht eingeladen?“

TC 19:32 – Woran hat’s gelegen?

SPRECHERIN:

Lag es am Alter? Oder am fremd klingenden Nachnamen? Hätte man besser nicht nach einem Teilzeitjob fragen sollen? Oder war es ein Fehler, das Thema Work-Life-Balance anzuschneiden? Brauchen sich Frauen gar nicht erst um traditionelle Männerberufe zu bemühen? War das Foto zu hübsch oder zu hässlich? Oder überhaupt fehl am Platz? Das Rätselraten findet kein Ende. Heute muss man wohl eh zur Dauerbewerbenden mutieren und ständig in digitalen Karriere-Netzwerken aktiv sein, etwa bei Xing und LinkedIn liken, Neues posten, kommentieren. Ob du dort dann aber wirklich von Headhuntern gefunden wirst, steht ebenfalls in den Sternen.

O-TON 19: (Timo Luks)

„Das ist tatsächlich immer so ein bisschen diese heikle Geschichte, die ja auch bei Ratgebern bisschen das Problem darstellt, ist: die guten Ratschläge, die vermeintlich zum Erfolg führen, werden dann ja von ganz, ganz vielen Leuten gelesen und umgesetzt. Und dann hat man dann einfach 50 perfekt optimierte Bewerbungen. Aber damit hat sich die Zahl der Stellen ja nicht vermehrt.“

SPRECHERIN:

Auch Fachkräftemangel führt in den betroffenen Branchen nicht zwangsläufig dazu, dass sich der Spieß umdreht. Also, dass sich die Unternehmen im Sinne potentieller Arbeitnehmer optimieren und zum Beispiel sehr viel höhere Löhne oder total familienfreundliche Bedingungen anbieten. Vielleicht finden sie ja doch noch andere Bewerber und Bewerberinnen, die keine „überzogenen“ Forderungen stellen. Das Machtgefälle zwischen denen, die Arbeit vergeben, und denen, die sie nehmen müssen, bleibt bestehen. Deshalb, sagt der Historiker Timo Luks, ganz ehrlich, dass eine optimale Bewerbung den Stich macht, ist eine Illusion.

O-TON 20: (Timo Luks)

„Es wird immer so getan, dass das hochkompetitiv ist, und am Ende gibt es nur einen Mann, der der allerbeste für diese Stelle ist. Aber faktisch ist in jedem Verfahren auch im neunzehnten Jahrhundert, ich habe mich das ja auch gefragt, wen würde ich nehmen, und dann kommt man immer zu dem Ergebnis: das sind mindestens zehn oder 15 Leute, die genauso gut und gleich gut diese Stelle als Magistratsschreiber oder als Polizeidiener ausfüllen könnten.“

SPRECHERIN:

Bewerbern und Bewerberinnen bleibt also auch im 21. Jahrhundert vermutlich nichts Anderes übrig, als den Zufall oder irgendeine für berufliche Fragen zuständige Schicksalsgöttin „untertänigst“ um Bevorzugung zu bitten. Insgeheim natürlich nur, versteht sich.

TC 21:47 – Outro

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TC 00:38 – In tiefster Untertänigkeit: Bewerben im 19. Jahrhundert

ZITATOR:

Euer königlichen Majestät nahet sich in tiefster Unterthänigkeit der Sohn des seit 50 Jahren in Stuttgart angestellt gewesenen Scharfrichters Näher als Waise, und erinnert die von seinem, in voriger Nacht durch einen Schlagfluß plötzlich hinweggerafften 75jährigen Vater, im Juli vorigen Jahrs, allerunterthänigst vorgebrachte Bitte, seinem einzigen Sohn sein Amt, das schon über hundert Jahre durch seine Voreltern begleitet worden, übertragen zu dürfen.

SPRECHERIN:

Ein Bewerbungsschreiben aus dem Jahr 1806. Das feudale Ständesystem weist jedem noch seinen gesellschaftlichen Platz zu: „Kaiser, König, Edelmann. Bürger, Bauer, Bettelmann. Schuster, Schneider, Leineweber. Bäcker, Kaufmann, Totengräber.“ Der alte Abzählvers beschreibt die festgefügten Hierarchien. Spielräume, sprich: Auf- oder Quereinstiegschancen deuten sich an, aber nicht für einen Henkerssohn. Irgendjemand muss die unehrenhafte Arbeit schließlich tun. Der junge Bewerber wird also vermutlich zu einer Art Vorstellungsgespräch geladen. Der Historiker Timo Luks erklärt, wie das damals ablief:

O-TON 01: (Luks)

„Da ging es um eine Inaugenscheinnahme, ob da jemand körperlich überhaupt fit ist, ob jemand einen gesunden Eindruck macht und dann im Grunde vielleicht zwei, drei Sätze, um jemanden kennenzulernen, also das hatte quasi nicht den Zweck über den Bewerber noch irgendwelche grundsätzlichen Sachen zu erfahren.“

SPRECHERIN:

Aber ist er tatsächlich so treu ergeben wie sein Bewerbungsschreiben nahelegt? Da steht er nun im Raum, der Anwärter auf den Job des königlichen Henkers. Er hat den Blick gesenkt, die Schultern hängen, er stammelt ein paar Worte und knetet den Hut in den Händen.

ZITATOR:

Allerunterthänigst … Bitte … sein Amt… schon über hundert Jahre durch seine Voreltern begleitet worden… übertragen… zu dürfen.

Musik 2

"Smells Like Sheep" - Komponist: Nichoals Britell - Album: The Big Short (Music from

the Motion Picture) - Länge: 1'00

TC 02:40 – Die moderne Selbstvermarktung - Neugier statt Mitleid

SPRECHERIN:

Wie sich die Verhältnisse ändern! Mehr als 200 Jahre später wäre eine solche Performance ein „absolutes No-Go“. Bewerber und Bewerberinnen müssen immer selbstbewusst auftreten, sagt der Karriere-Coach Klaus-Dieter Böse. Auch wenn sie es eigentlich nicht sind.

O-TON 02: (Böse)

„Das kann man aber lernen. Das mache ich auch mit meinen Klienten, wo ich sage: komm einfach mal in den Raum rein. Wie wirkt das? Ich übe mit denen Bewerbungsgespräche, wo man sagt: okay, wie sitzt jemand? Fällt der zusammen? Ist der nervös? Wo guckt jemand hin? Also, all das kann man lernen und darauf achten, wie stelle ich mich hin, dass ich schulterbreit stehe, dann habe ich einen besseren Halt in meinen Körper. Das sind so diese Kleinigkeiten, die man selber sehr gut machen kann.“

SPRECHERIN:

Das Individuum hat in der modernen Gesellschaft an Bedeutung gewonnen. Sich selbst zu optimieren, um die Chancen auf eine Stelle zu verbessern, das kam Bewerbern zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht in den Sinn. Vielleicht, dass sie sich vor dem Gespräch mit einem Kamm durch die Haare gefahren sind. Im Grunde aber hofften sie auf die Güte der Herren Brotgeber. Der Historiker Timo Luks hat sich in Archiven durch unzählige Bewerbungsschreiben gelesen:

O-TON 03: (Luks)

„Die Bewerber appellieren ganz oft an die „wohlmeinenden väterlichen Stadtmagistrate oder Stadträte“, die ihnen dann eine Schreiber-Stelle verleihen sollen. Also das ist so eine Idee von Obrigkeit, die sich sorgt und die sich kümmert. Und bei modernen Bewerbungen, die ganz entschieden auf Konkurrenz abheben, wird tatsächlich eher auf den eigenen Vorteil abgehoben. Wenn man mich einstellt, dann bringe ich dem Unternehmen was und das Unternehmen hat Vorteile von mir sozusagen. Die ältere Haltung kommt über so eine väterliche-verantwortliche Idee noch stärker und das ist ein anderer Aspekt des Menschen, der da betont wird.“

Musik 3

"Smells Like Sheep" - Komponist: Nichoals Britell - Album: The Big Short (Music from the Motion Picture) - Länge: 1'07

O-TON 04: (Böse)

„So eine schöne Selbstpräsentation baut man auf, wo man sagt: wer bin ich? Was hat mich in meiner Vergangenheit geprägt? War es der Job? Waren es die Eltern? Was habe ich über meinen beruflichen Werdegang Wichtiges gelernt? Dann gibt es immer die Regel, dass man die drei wichtigsten Kompetenzen sagt, die ich habe, die drei wichtigsten Stärken, die ich habe.“

SPRECHERIN:

Moderne Bewerber und Bewerberinnen müssen auf Zack sein, sagt der Laufbahn-Trainer Klaus-Dieter Böse. Ihre Selbstdarstellungen sollen bei potentiellen Arbeitgebern kein Mitleid, sondern Neugier wecken.

Wie? Die war mit 23 Jahren schon Projektleiterin für Strategieprojekte? Und was steckt wohl hinter ihrem „3-monatigen Erwerb sozialer Kompetenzen auf Ibiza“? Lücken, Pausen, Müßiggang haben in einem Lebenslauf so wenig zu suchen wie leere Seiten in einem Krimi. Aber bitte nicht übertreiben! Die Herausforderung lautet: vage zu bleiben, ohne profillos zu wirken. Dazu später mehr.

O-TON 05: (Böse)

„Der Lebenslauf ist das Interessanteste, was der potenzielle Arbeitgeber sich zuerst nimmt, sich anschaut, und dies muss fesseln. Das muss Informationen rübergeben und animieren zum Weiterlesen. Das heißt, ich brauche eine gute erste Seite, wo ganz klar hervorkommt, warum ich zu diesem Unternehmen, warum ich zu diesen Positionen, dieser Rolle, dieser Funktion auch tatsächlich passe.“

TC 05:49 – Eigenlob hat früher noch gestunken

Musik 4

"Andante Con Moto: Strings in E-Flat Minor" - Komponist: Nicholas Britell - Succession: Season 1 (HBO Original Series Soundtrack) - Länge: 0'40

ZITATOR:

Daß ich zu diesem Posten, der in meiner Wiege als meine Bestimmung angegeben wurde, geeignet seye, müßen meine seit mehreren Jahren im Namen meines Vaters geleisteten Dienstverrichtungen von jeder Art bestimmt darthun…

SPRECHERIN:

Der Anwärter auf den Stuttgarter Henkersposten weist in seinem Schreiben eher nebenbei auf die persönliche Eignung hin. Eigenlob stank damals nämlich noch gewaltig. Doch sollte der junge Mann seine Fähigkeiten deshalb unerwähnt lassen? Eine Bewerbung glich von Anfang an einem Balanceakt, sagt Timo Luks.

O-TON 06: (Luks)

„Die Bewerbung hat eine Eigendynamik des Redens von sich selbst, und das kann man bremsen und das kann man laufen lassen… Und das drängt aber tatsächlich immer in diese Richtung der Selbstdarstellung.“

SPRECHERIN:

„In eigener Sache“ lautet denn auch der Titel des Buches, das der Historiker 2022 veröffentlicht hat. Timo Luks beschreibt, wie sich aus der unterwürfigen Bewerbung ein kompliziertes Instrument im Leistungswettkampf des Jeder gegen Jede entwickelt hat. Es ging immer schon zwei Schritte vor und einen zurück.

O-TON 07: (Luks)

„Sehr schön kann man das in frühen Bewerbungen, in frühen Ratgebern ablesen: Die beinhalten immer noch die Entschuldigung, dass man jetzt von sich selbst redet, das wäre ja heute nicht mehr vorstellbar: „Entschuldigung, dass ich meine Vorteile hier zur Schau stelle!“ würden wir nicht schreiben in der Bewerbung.“

SPRECHERIN:

Nein. Bloß nicht, mahnt der moderne Karrierecoach:

O-TON 08: (Böse)

„Bewerbung ist Eigenmarketing, was man betreibt.“

MUSIK 5

"Lamentoso - Clarinets, Piano, Pizzicato Strings" - Album: Succession: Season 4 (HBO Original Series Soundtrack) - Komponist: Nicholas Britell - Länge: 0'50

SPRECHERIN:

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts trieb pure Not die Menschen dazu, sich gezielt und schriftlich um Anstellungen zu bewerben. Es gab noch keinen Sozialstaat. Und die Kommerzialisierung nahm zu, der Markthandel löste die Tauschgeschäfte ab. Man brauchte Geld, bares Geld in die Hand. Aus dem Militär entlassene Soldaten, gescheiterte Kaufleute und verzweifelte Familienväter mussten jetzt tatsächlich „in eigener Sache“ werben, auch wenn sie ihre Dienste eben nicht wie Kartoffeln oder Gemüse feilbieten wollten. Die frühen Bewerbungen folgen dem Muster klassischer Bittschreiben, sagt der Historiker Timo Luks. Zwar kursierte seit alters her auch der Begriff der Bewerbung:

O-TON 09: (Timo Luks)

„Der meint aber nichts, was sich irgendwie auf eine Stelle bezieht oder jedenfalls nicht nur. Wenn man sich bewirbt, dann bewirbt man sich um Freundschaft, um einen Gunstbeweis, um die Hand einer Frau oder einer Dame. Und in diesem breiten Feld kann man sich eben auch um eine Anstellung bewerben. Und der zweite Strang, der dann für die Stellenbewerbung wichtig ist, kommt tatsächlich eher aus der Tradition der Bittschreiben und Bittschriften. Dass man da gewissermaßen eine Obrigkeit oder ein höherstehendes Gegenüber bittet, um irgendeine Gunst oder irgendeine Gnade. Und in dem Zusammenhang kann man den eben auch um die Verleihung einer Stelle bitten.“

TC 08:29 – Die DNA einer Bewerbung

O-TON 10: (Böse)

„Wir brauchen den roten Faden, nicht nur in dem Anschreiben oder einem Motivationsschreiben, auch den roten Faden im Lebenslauf, was die DNA des Bewerbers darstellt.“

SPRECHERIN:

Die „DNA“ eines Bewerbers oder einer Bewerberin hat nichts mit Erbinformationen zu tun. Die moderne Coaching-Sprache meint damit den „Markenkern“ einer Person. Meist muss dieser für eine gute Bewerbung erst herausgeschält werden. Dazu ist es nötig, die eigene Biographie nach verwertbaren Details zu durchforsten. Ob dann der Trainerschein in rhythmischer Sportgymnastik zum „unique selling point“, also zum Alleinstellungsmerkmal wird, oder das Praktikum in Südostasien, ist im Grunde egal: Hauptsache, das Ego gewinnt an Kontur, sagt Klaus-Dieter Böse.

O-TON 11: (Böse)

„Ich steh mit jeder Bewerbung mit anderen Bewerbern im Wettbewerb. Und ich kann mich nur mit meiner Persönlichkeit, die ich besitze, was mich ausmacht, meine Individualität kann ich mich nur hervorheben. Und das ist das, was die Bewerber sich immer vor Augen halten müssen, gute Vorbereitung: zu wissen: Wer bin ich? Was kann ich? Und wo sind vielleicht auch meine Schwächen, die ich aber trotzdem gut integrieren kann und was motiviert mich?“

TC 09:40 – Der Ton macht die Musik und der Weg ist das Ziel

MUSIK 6

"Andante Con Moto: Strings in E-Flat Minor" - Komponist: Nicholas Britell - Succession: Season 1 (HBO Original Series Soundtrack) - Länge: 0'50

ZITATOR:

Eine so zahlreiche Familie wie die von meinem Vater hinterlassene ist, erfordert zu viel, als daß meine Mutter sich nicht mit Recht auf die Stütze ihres einzigen Sohnes verlassen sollte, und als Stütze kann ich ihr nur dann dienen, wenn ich in die Stelle meines Vaters eingesetzt werde.

SPRECHERIN:

Der junge Henker betont nicht nur die Bedürftigkeit seiner Familie. Er vermittelt auch, dass er seiner Mutter eine Stütze sein will. Unter Christen gibt es hier 100 Punkte. Umso mehr hat der gute Sohn die „Verleihung“ dieser Stelle verdient, nicht wahr? Das kurze Bewerbungsschreiben aus dem Jahr 1806 erhöht geschickt Zeile für Zeile den moralischen Druck, ein Argument ergibt sich aus dem nächsten. Folgende Frage stellt sich Arbeitgebern sicher öfter:

O-TON 12: (Böse)

„Hat der die Bewerbung denn selber geschrieben oder hat das jemand anderes gemacht?“

MUSIK 7

"Andante Con Moto: Strings in E-Flat Minor" - Komponist: Nicholas Britell - Succession: Season 1 (HBO Original Series Soundtrack) - Länge: 0'40

SPRECHERIN:

Nun, nicht jeder Handwerkersohn ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts des Schreibens mächtig. Professionelle Schreiber werden gern in Anspruch genommen, sofern man sie bezahlen kann. Sie beherrschen die notwendige Rhetorik aus dem FF, also auch die stilistische Zuspitzung eines Briefes, der dann in herabfallender Kurve förmlich auf den Knien endet.

ZITATOR:

Euer königlichen Majestät bitte ich in tiefster Unterthänigkeit um allergnädigste Übertragung dieses durch den Tod meines Vaters erledigten Postens.

SPRECHERIN:

„Ich freue mich auf eine Einladung zum Vorstellungsgespräch.“ Schreiben diese Floskel nicht alle? Kommt der Lebenslauf ein- oder zweispaltig besser? Und weil wir gerade dabei sind: Empfiehlt es sich eigentlich, das Anschreiben als Fließtext zu verfassen oder wirken eingerückte, mit Aufzählungszeichen versehene Blöcke dynamischer? Heute hilft auf die Schnelle das Internet weiter. Außerdem gibt es ja Karriere-Coaches wie Klaus-Dieter Böse.

O-TON 13: (Böse)

„Ich empfehle immer einfache Schlichtheit und nicht so Verspieltheit mit Haken oder mit Pfeilen. Leute können dort sehr kreativ werden, und ich finde immer, man muss immer dem Motto feiern so schlicht wie möglich. Auffallen soll im Endeffekt die Leistung und das Können des einzelnen Bewerbers.“

SPRECHERIN:

Der Weg ist nicht das Ziel, sondern eine Bewerbung soll den geschätzten Leser, die sehr geehrte Leserin zum Handeln bewegen: Lad mich ein! Gib mir die Stelle oder wenigstens eine Chance! Bewerbungen folgen grundsätzlich dem teleologischen Prinzip. Man stellt die eigenen Bedürfnisse, Leistungen und Bemühungen so dar, als liefen sie zwangsläufig auf die angestrebte Stelle zu. Im Laufe der Zeit hat sich allerdings der Bezugsrahmen verschoben.

ZITATOR:

Und ich glaube, im Vertrauen auf die allerhöchste Gerechtigkeitsliebe gerechte Ansprüche darauf machen zu können.

SPRECHERIN:

Der potentielle Chef muss nur noch zustimmen. Schließlich hat die zukünftige Einzelhandelskauffrau schon als Kind gern mit dem Kaufladen gespielt. Das echte Leben mag von Zufällen und Gelegenheiten beherrscht sein, ein perfekter Lebenslauf besteht aus stringenten biographischen Etappen. Einiges fällt logischerweise unter den Tisch, das krachend gescheiterte Projekt xy zum Beispiel. Anderes muss aufpoliert oder umfrisiert werden. Außer man hat eh schon immer alles nur unter Karriere-Gesichtspunkten betrieben: Studium, Auslandsaufenthalte, Freundschaften, Hobbys… umso besser, vermutlich! Denn eine Bewerbung ist eine Erzählung über die eigene Person, die sich an den vermuteten Erwartungen des Gegenübers ausrichtet. Ein bisschen zu pokern, gehört also dazu. Vor 200 Jahren setzten die Bewerber noch ganz klar aufs Herz.

O-TON 14: (Timo Luks)

„Mich hat's teilweise sehr beeindruckt, wie dann kleine Handwerker auf der Suche nach einer Schreiberstelle im Grunde so Mini-Autobiografien sind das fast, wenn man das mit heutigen Bewerbungsschreiben vergleichen würde, das heißt, die machen sehr viel deutlicher und plausibler, warum sie sich in einer bestimmten Lebenssituation für eine bestimmte Stelle bewerben. Dann werden die Familienverhältnisse ausgeführt, dann wird ausgeführt, was sie für Schicksalsschläge hatten, wie die Familie leidet, wie das Einkommen schwindet, wie die Preise steigen, also das Gesamtpaket von Lebenslage wird da erzählerisch aufbereitet und darin flechten die einfach ein, was sie wann wie an Ausbildungen und Qualifikationen haben. Und das ist überhaupt nicht der Kernbereich, sondern es geht im Grunde darum, die Person eingebettet in die Familie und in die sozialen Verhältnisse irgendwie verständlich zu machen.“

TC 14:05 – „Ich bewerbe mich für den Bekannten meiner Schwester Neffen“

MUSIK 8

"Fatherhood" - Album: The Tree Of Life (Original Motion Picture Soundtrack) - Komponist und Ausführender: Alexandre Desplat - Länge: 1'00

SPRECHERIN:

Bevor sich mit der Industrialisierung die moderne Arbeitsgesellschaft herausbildet, läuft vieles über Mundpropaganda. Einer hört von der schweren Erkrankung des Polizeidieners und empfiehlt sich sofort für dessen Amt, obwohl der Mann noch lebt. Bevor eine Sterbeanzeige erscheint, ist oft schon ein richtiggehendes Stellenkarussell in Gang gesetzt: Man bewirbt sich auf die vermutlich freiwerdende Position des vermutlich aufrückenden Nachfolgers des vermutlich bald dahinscheidenden Marktaufsehers oder Torsperrers. Oder ein Verwandter versucht stellvertretend, einen Fuß in die Tür zu kriegen.

ZITATOR:

Und übrigens dafür bürgen zu können glaube, dass mein Sohn sich dieser Höchsten Gnade durch seinen angewöhnten strengen Fleiß und bisher stets bezeigten Nüchtern- und Untadelhaftigkeit würdig zu machen sich thätigst beeifern werde.

O-TON 15: (Luks)

„Über dieses Weitergeben von Informationen und vor allem das Weitergeben von Bewerbern, wenn man so will, kommt man oft an die Stellen. Das heißt, da bewirbt sich gar nicht der Interessent selbst, sondern der Vater, ein wohlmeinender Onkel oder ein früherer Arbeitgeber oder dergleichen, schreibt im Grunde eine Art Empfehlung, die vom Tonfall total ähnlich ist wie das, was man selbst als Bewerbung schreiben würde, nur, dass sich eben der Bewerber nicht selbst bewirbt, sondern er wird beworben von jemandem anders.“

SPRECHERIN:

Um 1900 etabliert sich ein allgemeiner, dem heutigen vergleichbarer Arbeitsmarkt. Es gibt Berufsberatungen und Vermittlungsagenturen. In den Zeitungen erscheinen Stellenanzeigen sowie Gesuche. Viele Unternehmen verfügen inzwischen über eigene Personalabteilungen. Buchhandlungen verkaufen spezielle Ratgeberliteratur für Arbeitssuchende, etwa den Titel “Wie erzwinge ich mein Glück?“. Die Botschaft heißt jetzt, dass es an jeder einzelnen Person liegt, ob sie weiterhin zur Masse der Arbeitslosen gehört oder endlich einen Job findet. Nach dem Motto: aufpassen beim Löschen der Tinte mit Sand! Nicht, dass dem Direktor beim Öffnen des Bewerbungsschreibens ein halber Mittelmeerstrand auf den Anzug rieselt. Was können Arbeitssuchende seither nicht alles verkehrt machen! Nehmen wir als aktuelles Beispiel nur einmal die Sache mit der Suchmaschinenoptimierung. Kaum jemand schickt seine Unterlagen heute ja noch per Post oder radelndem Boten. Das Portfolio mit allem Pipapo wird auf den Bewerbungsportalen der Unternehmen digital hochgeladen. So sparen Jobsuchende Papier und Arbeitgeber menschliche Arbeitskraft ein.

TC 16:36 – Die Headhunter-Maschine KI

O-TON 16: (Böse)

„Wir müssen immer davon ausgehen, dass im Hintergrund mittlerweile die KI, die künstliche Intelligenz, diese Dokumente liest und entscheidet, anhand von vorgegebenen Stichwörtern: sind die vorhanden? Ja oder nein. Das heißt, ich muss gucken, dass ich die Fachbegriffe, die auch in der Stellenausschreibung gestanden haben, wie Stakeholder, Projektmanagement, Teamfähigkeit, Führungsverhalten, Kommunikationsstärke, das wären so Klassiker, die man in einer Stellenausschreibung findet. Und diese Begrifflichkeiten müssen sich dann wiederfinden in dem Anschreiben oder in dem Lebenslauf oder am besten in beiden Sachen.“

SPRECHERIN:

Ansonsten sortiert eine Maschine die „falsche“ Bewerbung gnadenlos aus. Egal, wie viele „unversorgte Kinder“ der arme Absender zu Hause haben mag.

Musik 9

"Lamentoso - Clarinets, Piano, Pizzicato Strings" - Album: Succession: Season 4 (HBO Original Series Soundtrack) - Komponist: Nicholas Britell - Länge: 0'25

ZITATOR:

Indem ich noch 8 unversorgte, sich sämtlich zu Haus befindliche Kinder, deren das älteste erst 15 Jahre alt ist, nebst einer Ehefrau zu ernähren habe.

TC 17:37 – Top oder Flop: Der erste Eindruck zählt

SPRECHERIN:

Die Bewerbung versucht eine Brücke zwischen Individuum und Arbeitswelt zu schlagen. Unter dem Druck der kapitalistischen Wirtschaftsordnung entwickelt sie sich zu einer komplexen Kulturtechnik der Selbstdarstellung: nur der oder die Beste kann gewinnen! Denkste. Zugleich erweist sich die hochformalisierte, standardisierte Textsorte als rigides Disziplinierungsinstrument. Dem wachsenden, sich stetig wandelnden bürokratischen Aufwand müssen die Bewerber eben auch gewachsen sein. Anfangs genügt noch ein Schreiben, dann wird die persönliche Handschrift wichtig. Ein Foto kommt hinzu. Zeugnisse müssen beigelegt, Referenzen genannt, Anschreiben und Lebenslauf voneinander getrennt werden. Nicht zuletzt kommt es auch noch auf den Auftritt beim Vorstellungsgespräch an.

O-TON 17: (Timo Luks)

„Im späten 19. und um 1900 spielt das eine Rolle, dass Sie dann wirklich eigene Kapitel haben in Ratgebern, die sagen: „okay, den Hut absetzen, aber in der Hand behalten. Niemandem Zeit stehlen, wenn man persönlich hinkommt, immer bereit sein, sofort zu gehen, wenn der Gegenüber scheinbar genug gefragt hat!“, also solche Ratschläge für das Verhalten im Kennenlernen, im Gespräch werden dann häufiger. Und in den Archivunterlagen selbst habe ich tatsächlich auch in der gleichen Zeit so im späten 19. Jahrhundert auch einige Verfahren gefunden, ich glaube, da ging es um so Aufsichtspersonen bei einem Armenhaus und also auch so halboffizielle Stellen. Und da gab es dann häufiger mal in so Bewerbereinschätzungen, in so vergleichenden Gutachten, die Bemerkung: ja, der sah noch ganz passabel aus in der Bewerbung, aber machte persönlich keinen günstigen Eindruck.“

MUSIK 10

"Smells Like Sheep" - Komponist: Nichoals Britell - Album: The Big Short (Music from the Motion Picture) - Länge: 1'16

O-TON 18: (Böse)

„Diejenigen, die aus den Universitäten rauskommen, die haben ja ein Career Coaching, was Universitäten heutzutage anbieten: wie bewerbe ich mich draußen? Die kriegen Kurse: wie präsentiere ich mich auf diesen sozialen Netzwerken? Was habe ich alles für Möglichkeiten? Die sind wirklich sehr gut darin. Die große Masse, die Probleme eigentlich hat, sind die, die sich lange nicht mehr beworben haben. Oder die sich fragen: warum kriege ich immer nur Absagen? Warum nimmt mich keiner? Warum werde ich nicht eingeladen?“

TC 19:32 – Woran hat’s gelegen?

SPRECHERIN:

Lag es am Alter? Oder am fremd klingenden Nachnamen? Hätte man besser nicht nach einem Teilzeitjob fragen sollen? Oder war es ein Fehler, das Thema Work-Life-Balance anzuschneiden? Brauchen sich Frauen gar nicht erst um traditionelle Männerberufe zu bemühen? War das Foto zu hübsch oder zu hässlich? Oder überhaupt fehl am Platz? Das Rätselraten findet kein Ende. Heute muss man wohl eh zur Dauerbewerbenden mutieren und ständig in digitalen Karriere-Netzwerken aktiv sein, etwa bei Xing und LinkedIn liken, Neues posten, kommentieren. Ob du dort dann aber wirklich von Headhuntern gefunden wirst, steht ebenfalls in den Sternen.

O-TON 19: (Timo Luks)

„Das ist tatsächlich immer so ein bisschen diese heikle Geschichte, die ja auch bei Ratgebern bisschen das Problem darstellt, ist: die guten Ratschläge, die vermeintlich zum Erfolg führen, werden dann ja von ganz, ganz vielen Leuten gelesen und umgesetzt. Und dann hat man dann einfach 50 perfekt optimierte Bewerbungen. Aber damit hat sich die Zahl der Stellen ja nicht vermehrt.“

SPRECHERIN:

Auch Fachkräftemangel führt in den betroffenen Branchen nicht zwangsläufig dazu, dass sich der Spieß umdreht. Also, dass sich die Unternehmen im Sinne potentieller Arbeitnehmer optimieren und zum Beispiel sehr viel höhere Löhne oder total familienfreundliche Bedingungen anbieten. Vielleicht finden sie ja doch noch andere Bewerber und Bewerberinnen, die keine „überzogenen“ Forderungen stellen. Das Machtgefälle zwischen denen, die Arbeit vergeben, und denen, die sie nehmen müssen, bleibt bestehen. Deshalb, sagt der Historiker Timo Luks, ganz ehrlich, dass eine optimale Bewerbung den Stich macht, ist eine Illusion.

O-TON 20: (Timo Luks)

„Es wird immer so getan, dass das hochkompetitiv ist, und am Ende gibt es nur einen Mann, der der allerbeste für diese Stelle ist. Aber faktisch ist in jedem Verfahren auch im neunzehnten Jahrhundert, ich habe mich das ja auch gefragt, wen würde ich nehmen, und dann kommt man immer zu dem Ergebnis: das sind mindestens zehn oder 15 Leute, die genauso gut und gleich gut diese Stelle als Magistratsschreiber oder als Polizeidiener ausfüllen könnten.“

SPRECHERIN:

Bewerbern und Bewerberinnen bleibt also auch im 21. Jahrhundert vermutlich nichts Anderes übrig, als den Zufall oder irgendeine für berufliche Fragen zuständige Schicksalsgöttin „untertänigst“ um Bevorzugung zu bitten. Insgeheim natürlich nur, versteht sich.

TC 21:47 – Outro

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