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Kampf um den Münchner Faun - Der Super-Promi der Glyptothek
Manage episode 459040021 series 1833401
Im Winter 1819 überquert eine hart umkämpfte Fracht die Alpen. Adressat ist der bayerische König Ludwig I., der nun endlich den sogenannten Barberinischen Faun sein Eigentum nennen darf. Bis heute fasziniert dieser Star der Münchner Glyptothek Publikum und Forschung. Von Isabel Hertweck-Stücken
Credits
Autorin dieser Folge: Isabel Hertweck-Stücken
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Berenike Beschle, Thomas Birnstiel, Silke von Walkhoff, Peter Veit
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Prof. Dr. Raimund Wünsche, Klassischer Archäologe
Jean Sorabella, Kunsthistorikerin, Columbia University, New York
Die Bavaria - Symbol und Wahrzeichen Bayerns JETZT ENTDECKEN
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:
ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN
Literatur:
Raimund Wünsche, „Ludwigs Skulpturenerwerbungen für die Glyptothek“. IN: Glyptothek München 1830-1980. Hrgs. von Klaus Vierneisel und Gottlieb Lenz – Hier beschreibt Raimund Wünsche detailliert die Geschichte der Erwerbung des Fauns
Jean Sorabella, „A Satyr for Midas: The Barberini Faun and Hellenistic Royal Patronage. IN: Classical Antiquity (2007) 26 (2): 219–248 – In dem oft zitierten Artikel entwickelt Jean Sorabella ihre Hypothese zum ursprünglichen Sinnzusammenhang des Faun
Linktipps:
Ein frischer Blick auf den Faun von BR Alpha: HIER
Informationen zum Faun und vielen anderen Ausstellungsstücken bayerischer Museen gibt es in diesem empfehlenswerten Portal www.bavarikon.de HIER
Hier kann man ihn und viele andere einzigartige Meisterwerke antiker Skulptur besuchen
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Im Winter 1819 überquert ein besonderer Schwertransport die Alpen, über verschneite und vereisten Wege. Sechs Ochsen ziehen ein Fuhrwerk, das eine riesige Kiste geladen hat, der Inhalt: eine antike Skulptur.
O-ton : Raimund Wünsche
Um es mal so auszudrücken, es ist jetzt ein ganz einmaliges Werk, das wirkt wie vom Himmel gefallen, wie er da so rumliegt.
Er ist die einzige Figur, die man kennt, die seit der Auffindung nicht an Reputation verloren hat.
MUSIK ENDE
SPRECHER
Der Fuhrmann, der auf dem Kutschbock sitzt, und das Gespann sicher von Italien nach München bringen soll, hat den Inhalt seiner kostbaren Fracht vermutlich nie gesehen. Den Anblick des alten, wilden Wesens kann man nur moralisch und sittlich gefestigten Personen zumuten. Denn die Skulptur arbeitet mit einem Effekt, der bis heute in Horrorschockern Emotionen ins Unkontrollierte steigert: Überraschung!
O-ton Jean Sorabella:
Overvoice:
Es gelingt ihm immer wieder, uns zu überraschen. Egal wie vorbereitet man ist. Und ich glaube, das muss von Anfang an ein Element seiner Wirkung gewesen sein.
And it never fails to surprise, no matter how prepared you are for it,
I think. And I think that that must have been an element of it from the beginning.
MUSIK privat Take A2 “Christ Is Born Indeed”; Album: The Green Knight; Label: Sony Classical – 19439908171; Interpret: Bridget Samuels; Komponist: Daniel Hart; ZEIT: 01:23
SPRECHERIN
In den über 2000 Jahren ihrer Geschichte war die Marmorskulptur immer wieder ein begehrtes Beutestück. Mächtige Kaiser und Könige wollten sie unbedingt besitzen – und so legte der sogenannte „Barberinische Faun“ eine weite Reise zurück. Von seinem „Geburtsort“ irgendwo in Kleinasien, über Rom bis nach München, in die Glyptothek, das erste öffentliche Museum Münchens und Prestigeobjekt des bayerischen Königs Ludwig I.
SPRECHER
Wir kennen heute nur kleine Ausschnitte dieser Reise – aber schon die zeigen: der Faun wechselte nicht einfach nur den Besitzer, er wurde umkämpft, geraubt, oder mit List und Tücke erobert.
Ein paar Körperteile hat er im Laufe dieser abenteuerlichen Geschichte verloren. Das rechte Bein, den linken Arm, die Nasenspitze. Aber im Rest stecken immer noch genug Spannung und Sex-Appeal, um in die Köpfe der Besucherinnen und Besucher vorzudringen.
SPRECHERIN
Einer der besten Kenner der Figur ist der ehemalige Direktor der Glyptothek, der Archäologe Raimund Wünsche. Der Star „seiner“ Ausstellung ist so positioniert, dass man ihn schon von weitem – durch mehrere Raumfluchten hindurch – sehen kann. So, dass man sich dem „unerhörten Anblick“ langsam annähern kann.
MUSIK ENDE
O-ton Raimund Wünsche:
Dargestellt ist ein Satyr, ein männliches Wesen mit leicht tierischen Zügen. Das kann man ganz gut sehen. Er kommt aus dem Rücken heraus, so ein kleines Schwänzchen, das hier nach vorne geführt ist, das man auch sieht.(..) Aber am besten erkennt man, dass es ein Satyr ist, wie er sich bewegt. So kann man in Griechenland nicht sitzen!
SPRECHER
So würde man auch heute nicht sitzen, normalerweise. Die Haltung ist die eines Volltrunkenen – totaler Kontroll- und Schamverlust.
SPRECHERIN
Die Pose kann man sich etwa so vorstellen: Vom Oktoberfest hat es einer nicht mehr ganz nach Hause geschafft – hat sich auf eine Parkbank fallen lassen – und hängt dort nun etwas schief, halb sitzend, halb liegend, mit leicht offenstehendem Mund. Die Beine fallen weit auseinander, das eine Bein am Boden, mit dem anderen stützt er sich auf der Parkbank ab.
SPRECHER
Ein wichtiger Unterschied zum typischen Oktoberfest-Bild: Der Mann in der Glyptothek ist komplett nackt. Nicht nur das Gesicht, sondern jeder Muskel im gut trainierten Körper erzählt vom Versuch, die Kontrolle über Körper und Geist wiederzugewinnen – oder nicht ganz aufzugeben.
O-ton Raimund Wünsche
Das Interessante ist, wie der Künstler hier fertigbringt,
nicht nur den Übergang vom Wachen zum Schlaf,
sondern auch in der Liegehaltung das vorherige Dasein,
was er gemacht hat auszudrücken, die Bewegtheit.
Er will also zeigen, das ist nicht irgendein Mensch, der schläft oder Eros, ein Liebesgott, sondern ist einer, der eigentlich gar nicht richtig schlafen kann, weil ihm tobt es noch immer im Kopf rum und sowas von seinen ganzen vorherigen Lustbarkeiten.
MUSIK „Ludi inter Pana atque nymphas“; ZEIT: 00:49
SPRECHERIN
Die Lustbarkeiten – dabei handelt es sich mutmaßlich um wilde Tänze, viel Wein und freie Liebe. Alles das gehört zur Sphäre und zum Machtbereich des griechischen Gottes Dionysos: Gott des Weines und der Ekstase, der Freude und der Fruchtbarkeit. Die Satyrn gehörten zu seinem Gefolge, bildlich zu erkennen an ihren Esels-oder Pferdeohren, Schwänzen und „barbarischen“ Gesichtszügen mit breiten Stupsnasen, weit entfernt vom griechischen Schönheitsideal.
SPRECHER
Die Trunkenheit der Satyrn zeigt die „göttliche Macht“ des Dionysos. So erklärten sich die Griechen das Phänomen des Alkohol-Rauschs. Die wesens-verändernde Wirkung des Weins schrieben sie seinem göttlichen Einfluss zu.
MUSIK ENDE
O-Ton Raimund Wünsche:
Junge Satyrn sind lebensfroh, lustig, geben im Grunde genommen auch ein Ideal wieder, dass man sagt, so kann man sich manchmal benehmen im gesetzten Rahmen. Und darum gab es auch Satyr-Feste, wo der Herrscher sogar Wein ausgab umsonst, damit sich alle wohlfühlen. Der Wein befreit von den Sorgen des Alltags. Das ist hier gegeben.
SPRECHERIN
Die Römer machten aus dem griechischen Dionysos den römischen Bacchus – und seine Begleiter, die Satyrn vermischten sich mit dem Bild eines altitalischen Wald-und Naturwesens: dem Faun.
SPRECHER
Und so taucht unsere Skulptur, die von heidnischen Feiern der Fruchtbarkeit und des Lebens erzählt, als Barberinischer Faun in den Annalen der Kunsthistoriker auf. In den 20-er Jahren des 17.Jahrhunderts, in der Zeit des Barock, in Rom.
Das Christentum hat da die heidnischen Götter längst verdrängt, über Rom herrschen die Päpste.
Irgendwann zwischen 1624 und `28 kommt der Faun dort ans Licht – er wird bei Bauarbeiten ausgegraben. Dass in Rom Zeugnisse der antiken Geschichte zum Vorschein kommen, ist nicht ungewöhnlich. Der Boden ist voll davon – doch diese Statue erregt sofort öffentliches Aufsehen.
O-Ton Raimund Wünsche
Da gibt es sogar Berichte, dass alle zusammenliefen, alle Künstler, um die zu sehen.
SPRECHERIN
Praktisch sofort nach ihrer Auffindung, kommt die Statue wieder unter Verschluss. Papst Urban VIII. ist ein barocker „Familienmensch“ – 12 Mitglieder seiner erweiterten Familie, den „Barberini“, macht er zu Kardinälen. Er schenkt den Faun seinem Neffen, Francesco Barberini. Und mehr noch: er verfügt mit päpstlicher Autorität, dass die Statue auf ewig Eigentum der Familie Barberini bleiben muss.
250 Jahre lang schmückt der Faun den Palazzo Barberini in Rom, bis die Französische Revolution und Napoleons Armee die alte Ordnung in Europa – und damit auch die Macht der alten römischen Clans – hinwegfegen. 1799 steht der Faun zum Verkauf.
MUSIK privat Take A2 “Christ Is Born Indeed”; Album: The Green Knight; Label: Sony Classical – 19439908171; Interpret: Bridget Samuels; Komponist: Daniel Hart; ZEIT: 00:59
SPRECHER
Und damit beginnt ein römisches Intrigenspiel, in dessen Verlauf der Faun mehrfach – teils unter Polizeischutz – quer durch Rom transportiert wird.
Die Familie Barberini versucht – nachdem sie den Faun zunächst an den Bildhauer und Kunsthändler Vicenzo Pacetti verkauft hat – die Statue zurückzubekommen, denn ihr Preis ist in der Zwischenzeit immens gestiegen. Dazu lassen sie ihren politischen Einfluss spielen: 1810 bringt die römische Polizei den Faun zurück in den Palazzo Barberini. Jetzt wird vor Gericht weitergestritten: Pacetti prozessiert gegen die Barberini und gegen seinen einstigen Partner, den Bankier Torloni, die Barberini prozessieren gegen Pacetti und untereinander.
Wem der Faun gehört, wird immer nebulöser:
MUSIK ENDE
O-Ton Raimund Wünsche
…. Und in dem Augenblick war dann, wo 1810,
Ludwig I., der war damals noch Kronprinz, der sehr gerne Antiken sammelte, dann seinem Agenten in Rom, Martin von Wagner, einem Bildhauer, sagt, er soll sich doch darum kümmern, ob man das nicht kaufen könnte. Und das ist dann schon fast eindrucksvoll, wie er das Allerwichtigste empfand, in diese Figur.
SPRECHERIN
Kronprinz Ludwig, Sohn des ersten bayerischen Königs Max I. Joseph, ist ein tief verunsicherter und zugleich schwärmerischer junger Mann. Er ist schwerhörig, stottert, und ist frustriert, weil sein Vater ihm viel weniger politischen Einfluss zugesteht, als er sich das wünscht.
Seine ganze Energie, und davon hatte er viel – steckt er in seine Sammelleidenschaft.
Dazu bedient er sich seiner Agenten, einer davon ein bärbeißiger Bayer mit losem Mundwerk und großem Kunstsachverstand: Martin von Wagner. Ein Bildhauer, den Ludwig dafür bezahlt, dass er in Rom lebt, und die Szene unablässig nach günstigen Kaufgelegenheiten abgrast. Er macht das gut, putzt Klinken in den römischen Adelshäusern, sammelt und streut Gerüchte und besticht Bedienstete, um an inoffizielle Informationen zu kommen. Ihn setzt Ludwig auf den Faun an.
O-Ton Raimund Wünsche
Und dann zieht sie das hin und dann ununterbrochen, fast in jedem Brief schreibt er, wie es mit dem Faun steht. … 1813 glückte es dann. Dann wird der Faun gekauft für 8000 Scudi.
SPRECHER
Ein enormer Preis. Martin von Wagner hatte ein Jahresgehalt von 600 Scudi. Doch mit dem Kauf des Fauns ist die Geschichte längst nicht abgeschlossen. Denn die päpstliche Regierung will den Faun nicht aus dem Land lassen. Um diese Hürde zu überwinden, setzt Ludwig auf die Hilfe eines weiteren „Agenten“ oder einer „Agentin“ – es handelt sich um eine der mächtigsten Frauen Europas. Zu der hat Ludwig gute Beziehungen – es ist nämlich seine Schwester: die österreichische Kaiserin Karoline Auguste.
MUSIK privat Take A3 “You Do Smell Like You've Been At Mass All Night”; Album: The Green Knight; Label: Sony Classical – 19439908171; Interpret: Bridget Samuels; Komponist: Daniel Hart; ZEIT: 01:08
SPRECHERIN
1819 kommt mit dem Besuch des Kaiserpaars in Rom eine einzigartige Gelegenheit. Der Plan: die österreichische Kaiserin soll dem greisen Papst Pius eine Bitte vortragen, die er nicht abschlagen kann.
Ihr Biograph stellte sich die Szene bei der Privataudienz etwa so vor:
ZITATORIN
„So bitte ich Euer Heiligkeit, antwortete Karoline „um die Herausgabe eines Gefangen“. „Eines Gefangenen? Frug verwundert Pius VII, und setzte hinzu: „Eure Majestät können sich für keinen Unwürdigen verwenden und haben mein Wort.“
SPRECHER
Und so kommt der „Gefangene“, der Barberinische Faun, frei. Kein Wunder, dass die Bayern sofort alles daransetzen, ihn so schnell wie möglich aus Rom wegzubringen. Notfalls auch mitten im Winter.
Dabei wäre die Statue beinahe im Inn versunken – so eine schwere Last hatte die Brücke in Kufstein noch nie tragen müssen. Man fürchtet, dass sie einstürzen könnte. Und baut dem Faun eine starke Notbrücke über den reißenden Fluss.
Am 6. Januar 1820 kommt der Faun dann glücklich in München an.
Staunend wird der Immigrant aus dem warmen Süden im Rohbau der Glyptothek empfangen. Leo von Klenze, Ludwigs Baumeister, gibt sich gönnerhaft.
MUSIK ENDE
O-Ton Raimund Wünsche
Und Klenze hat sich da ganz wunderbar gesagt, er wird jetzt bei der Kälte mit den Zähnen klappern, aber er ist am richtigen Platz, und man meint, das müsste man mit goldenen Lettern ins Buch der Stadt eintragen.
SPRECHERIN
Und der Faun lebt sich ein in seiner neuen Heimat. Erfüllt seine Rolle als Publikumsmagnet von europäischem Rang.
Stolz ist man auf dieses einzigartige Kunstwerk. Auch deshalb, weil es sich hier um ein griechisches Original handelt – nicht – wie bei so vielen anderen antiken Skulpturen, um die römische Kopie eines griechischen Originals.
SPRECHER
Man setzt einiges daran, diese These immer wieder zu bestärken – denn beweisen kann man es nicht, der „Herkunftsnachweis“ des Fauns ist lückenhaft.
Denn: als die Römer den Satyr bei einem ihrer Feldzüge in Kleinasien erbeuteten, haben sie damit auch alle Hinweise auf seinen ursprünglichen Kontext zerstört. Sie zweckentfremdeten das Werk wahrscheinlich als Brunnenfigur – darauf weist eine pietätlose Bohrung im Felsen unter dem linken Arm hin.
MUSIK privat Take 13 “The Peri (Zahra's Theme)”; Album: Prince of Persia: The Forgotten Sands; Label: Ubisoft Music; Interpret: Tom Salta; Komponist: Tom Salta; ZEIT: 00:45
SPRECHERIN
Über die ursprüngliche Heimat des Fauns ist wenig bekannt. Nur das: Der Marmorblock, aus dem er gemeißelt wurde, stammt aus einem Steinbruch in Kleinasien. Die Oberfläche der Statue ist gut erhalten, wenig verwittert, das weist darauf hin, dass der Faun wenig Zeit im Freien verbracht hat. Der Stil ist hellenistisch – genauer: weist auf eine Entstehung im 3.-2. Jahrhundert vor Christus hin. Mehr lässt sich über die Herkunft nicht sagen – oder gar über den Zweck der Statue – oder doch?
MUSIK ENDE
SPRECHER
Die amerikanische Kunsthistorikerin Jean Sorabella hat sich auf genau solche problematischen Fälle spezialisiert: heimatlose Gesellen ohne Herkunfts-Papiere, gestrandet in internationalen Museen. Vom „Faun“ ist sie sofort fasziniert: seine Ausstrahlung ist eine verstörende Mischung aus Sinnlichkeit und Fremdartigkeit:
O-Ton Jean Sorabella
OVERVOICE
Eines der Dinge, das einen wirklich beeindruckt, wenn man direkt neben ihm steht, das ist: wie groß er ist. Er ist so groß – so viel größer als man selbst! So wie er im Moment ausgestellt ist, ist der Kopf über Deiner Kopfhöhe – obwohl der Faun sitzt! Er ist also so viel größer als man selbst. Und ich habe den Eindruck, dass das – in gewisser Weise – diese sexuelle Ausstrahlung blockiert. Und stattdessen bekommt man das Gefühl, sich in der Nähe von etwas zutiefst Fremdem und Übermenschlichem zu befinden.
And one of the things that really impresses you when you're
right next to it, is how big it is. It's so big. It's so much bigger than you. Or, you know, it's, as it's displayed, its head is about where your head is, but it's sitting down. So it's so much bigger than you. And I feel like that, to some degree, sort of disables that sexuality. And instead, you become, you get the sense you're next to something profoundly alien and something that is really superhuman, that is larger than life
SPRECHERIN
Jean Sorabella versucht, zu rekonstruieren, wer und warum ein solches Kunstwerk in Auftrag gegeben haben könnte. In Frage kommt nur eine sehr wohlhabende, mächtige Person.
O-Ton Jean Sorabella:
OVERVOICE
Man vergisst oft, dass es in der Antike keine Museen, so wie wir sie heute kennen, gab. Auch keinen „Kunstmarkt“. D.h. dass kein Künstler Zeit und Mühe und die Kosten für das Material für die Herstellung einer so großen Statue wie dieser verschwendet hätte: es sei denn, er hatte einen sehr klar definierten Grund dafür.
I think it's easy to forget in ancient times, there were
no museums as we know them, there was no art market as we know it. So that no artist could have wasted his time and effort and the cost of the material on making a big statue like that, unless there was a very clear reason.
SPRECHER
Sorabella durchforstet jahrelang Forschungsbibliotheken nach Hinweisen - und findet irgendwann in einem Verzeichnis von Fragmenten griechischer Historiker die entscheidende Spur zu einem möglichen Auftraggeber.
Es geht um Antiochos IV. oder Antiochos Epiphanes (sprich: Antíochos Epifánes), der im 2. Jahrhundert vor Christus das mächtige Seleukidenreich in Kleinasien beherrschte. Von ihm heißt es in dem Fragment: er habe sich gern als Midas kostümiert.
Dieser Hinweis alarmiert Sorabella: denn von Midas gibt es eine Legende – wie er einen Satyr gefangen nimmt:
MUSIK privat Take 13 “The Peri (Zahra's Theme)”; Album: Prince of Persia: The Forgotten Sands; Label: Ubisoft Music; Interpret: Tom Salta; Komponist: Tom Salta; ZEIT: 01:05
ZITATOR
Der griechische Geschichtsschreiber Philostratos berichtet:
Midas wusste von seiner Mutter, dass ein Satyr vom Wein überwältigt, einschlafen würde, und sich danach freundlich verhalten würde. Also mischte er Wein aus seinem Palast in das Wasser einer Quelle. Der Satyr trank davon, und war gefangen.
SPRECHERIN
In einer der Versionen dieser Legende, ist es dieser Satyr, Silenos, der Midas einen Wunsch gewährt: Und der wünscht sich dummerweise, dass alles, was er anfasst, zu Gold wird.
SPRECHER
Aber: während Midas für uns heute vor allem ein Negativ-Beispiel für menschliche Gier ist, stand in der Antike möglicherweise ein anderer Aspekt seiner Persönlichkeit im Vordergrund. Midas sagenhafter Reichtum und seine Macht.
Der vom Wein überwältigte, oder gefangene Satyr, dieses wilde, fremde und machtvolle Wesen könnte damit für einen hellenistischen Herrscher ein Zeichen und eine Bestärkung der eigenen Macht gewesen sein.
MUSIK ENDE
O-Ton Jean Sorabella:
OVERVOICE
Ich habe sehr viele Belege für ein Phänomen gefunden, dass sich auch in anderen historischen Epochen zeigt: Etwas zu besitzen, etwas sehr exotisches und sehr bemerkenswertes, etwas, von dem die Menschen vielleicht geglaubt haben, dass es gar nicht existiert – ein solcher Besitz verleiht seinem Eigentümer Macht.
Wer das Horn eines Einhorns besaß, oder eine Reliquie der Dornenkrone, der glaubte, dieser Besitz würde ihn anderen Herrschern überlegen machen, in ihren Augen war das die Realität. Also: warum nicht ein Satyr? Einen Satyr besitzen? Wäre das nicht so, als hätte man – zumindest vorübergehend - Macht über einen der edelsten und schwer fassbarsten Götter?
I found all of these references that really showed that, and I think this is confirmed in other historical moments as well, that being the possessor of something very exotic or very remarkable, something that people have almost believed doesn't exist, confers power on the possessor of that person. So the people who believe they possess the unicorn's horn, the people who possess the relic of the crown of thorns, you know, owning these things, made them superior in their own eyes to other rulers, let's say, other very powerful people. So why not a satyr? Owning a satyr? Wouldn't that make you, or even holding on to one for a short time, that would make you really seem like you were in command of the earth's most precious and
most elusive goods, if you like?
SPRECHERIN
Es ist eine magische Denkfigur: und sie liefert eine hoch spekulative, aber verführerisch plausible Erklärung, für die Ausstrahlung des Faun: es geht nicht um Sex, sondern in erster Linie um eine Demonstration von Macht.
Vielleicht sah die Geburtsstunde des Fauns also so aus:
MUSIK privat Take 13 “The Peri (Zahra's Theme)”; Album: Prince of Persia: The Forgotten Sands; Label: Ubisoft Music; Interpret: Tom Salta; Komponist: Tom Salta; ZEIT: 01:04
SPRECHER
Im 2. Jahrhundert vor Christus gab ein hellenistischer Herrscher aus Kleinasien, der den mythischen König Midas als Vorbild betrachtete, und sich gern wie er kostümierte, und in einem Brunnen Wasser mit Wein zu mischen pflegte – dieser Herrscher, Antiochos mit Namen, gab die überlebensgroße Statue eines Satyrs in Auftrag, die den Höhepunkt aus einer Geschichte über Midas darstellen sollte: den Augenblick des Sieges über ein mächtiges, göttliches Wesen.
Vielleicht stand die Statue in seinem Palast, um Besucher zu beeindrucken und einzuschüchtern, vielleicht stand sie an einem heiligen Ort, zusammen mit anderen Figuren der Legende, die heute untergegangen sind.
SPRECHERIN
Lange stand er dort nicht, denn bereits im 2. Jahrhundert kämpfte das Seleukidenreich gegen das aufstrebende Rom ums Überleben.
Auch das lehrt die Geschichte: je schwächer die reale Macht, desto großspuriger das Imponiergehabe.
MUSIK ENDE
O-Ton Jean Sorabella:
OVERVOICE
Eine der eher ernüchternden Lektionen dieser sehr alten Geschichte ist, dass manchmal, als Ergebnis eines sehr hässlichen Wettbewerbs, oder sogar eines Scheiterns, sehr beeindruckende Kunst entstehen kann.
And one of the sort of sobering lessons, I think, of this very ancient history is that sometimes out of a very ugly competition, even out of a failure, can come very successful works of art.
MUSIK „The vikings & the barons”; ZEIT: 00:53
SPRECHER
Der Faun fasziniert uns auch heute noch durch die Rätsel, die er uns aufgibt. Er lässt uns den Höhepunkt einer Geschichte erleben, deren Anfang und Ende wir nicht kennen. Was passierte, bevor er einschlief? Und was geschieht, wenn er die Augen wieder aufschlägt?
Das verleiht ihm eine Lebendigkeit, deren Magie sich kaum jemand entziehen kann. Der französisch-amerikanische Fotograf und Schriftsteller Julian Green besuchte 1950 die geschlossene, vom Krieg schwer gezeichneten Glyptothek.
ZITATOR Julian Green:
Man geht durch weite Säle unter offenem Himmel, deren Mauern die Spur der Flammen tragen. Der Faun steht in einer Ecke, unter einer Art Dach, das man ihm aus Brettern errichtet hat. Er ist vom Schlaf übermannt. Man kann kaum über diese Statue sprechen, ohne in eine Begeisterung zu verfallen, die mir fremd ist. (...) Es ist die sinnlichste Statue der Welt.
4392 odcinków
Manage episode 459040021 series 1833401
Im Winter 1819 überquert eine hart umkämpfte Fracht die Alpen. Adressat ist der bayerische König Ludwig I., der nun endlich den sogenannten Barberinischen Faun sein Eigentum nennen darf. Bis heute fasziniert dieser Star der Münchner Glyptothek Publikum und Forschung. Von Isabel Hertweck-Stücken
Credits
Autorin dieser Folge: Isabel Hertweck-Stücken
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Berenike Beschle, Thomas Birnstiel, Silke von Walkhoff, Peter Veit
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Prof. Dr. Raimund Wünsche, Klassischer Archäologe
Jean Sorabella, Kunsthistorikerin, Columbia University, New York
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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
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ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN
Literatur:
Raimund Wünsche, „Ludwigs Skulpturenerwerbungen für die Glyptothek“. IN: Glyptothek München 1830-1980. Hrgs. von Klaus Vierneisel und Gottlieb Lenz – Hier beschreibt Raimund Wünsche detailliert die Geschichte der Erwerbung des Fauns
Jean Sorabella, „A Satyr for Midas: The Barberini Faun and Hellenistic Royal Patronage. IN: Classical Antiquity (2007) 26 (2): 219–248 – In dem oft zitierten Artikel entwickelt Jean Sorabella ihre Hypothese zum ursprünglichen Sinnzusammenhang des Faun
Linktipps:
Ein frischer Blick auf den Faun von BR Alpha: HIER
Informationen zum Faun und vielen anderen Ausstellungsstücken bayerischer Museen gibt es in diesem empfehlenswerten Portal www.bavarikon.de HIER
Hier kann man ihn und viele andere einzigartige Meisterwerke antiker Skulptur besuchen
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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SPRECHERIN
Im Winter 1819 überquert ein besonderer Schwertransport die Alpen, über verschneite und vereisten Wege. Sechs Ochsen ziehen ein Fuhrwerk, das eine riesige Kiste geladen hat, der Inhalt: eine antike Skulptur.
O-ton : Raimund Wünsche
Um es mal so auszudrücken, es ist jetzt ein ganz einmaliges Werk, das wirkt wie vom Himmel gefallen, wie er da so rumliegt.
Er ist die einzige Figur, die man kennt, die seit der Auffindung nicht an Reputation verloren hat.
MUSIK ENDE
SPRECHER
Der Fuhrmann, der auf dem Kutschbock sitzt, und das Gespann sicher von Italien nach München bringen soll, hat den Inhalt seiner kostbaren Fracht vermutlich nie gesehen. Den Anblick des alten, wilden Wesens kann man nur moralisch und sittlich gefestigten Personen zumuten. Denn die Skulptur arbeitet mit einem Effekt, der bis heute in Horrorschockern Emotionen ins Unkontrollierte steigert: Überraschung!
O-ton Jean Sorabella:
Overvoice:
Es gelingt ihm immer wieder, uns zu überraschen. Egal wie vorbereitet man ist. Und ich glaube, das muss von Anfang an ein Element seiner Wirkung gewesen sein.
And it never fails to surprise, no matter how prepared you are for it,
I think. And I think that that must have been an element of it from the beginning.
MUSIK privat Take A2 “Christ Is Born Indeed”; Album: The Green Knight; Label: Sony Classical – 19439908171; Interpret: Bridget Samuels; Komponist: Daniel Hart; ZEIT: 01:23
SPRECHERIN
In den über 2000 Jahren ihrer Geschichte war die Marmorskulptur immer wieder ein begehrtes Beutestück. Mächtige Kaiser und Könige wollten sie unbedingt besitzen – und so legte der sogenannte „Barberinische Faun“ eine weite Reise zurück. Von seinem „Geburtsort“ irgendwo in Kleinasien, über Rom bis nach München, in die Glyptothek, das erste öffentliche Museum Münchens und Prestigeobjekt des bayerischen Königs Ludwig I.
SPRECHER
Wir kennen heute nur kleine Ausschnitte dieser Reise – aber schon die zeigen: der Faun wechselte nicht einfach nur den Besitzer, er wurde umkämpft, geraubt, oder mit List und Tücke erobert.
Ein paar Körperteile hat er im Laufe dieser abenteuerlichen Geschichte verloren. Das rechte Bein, den linken Arm, die Nasenspitze. Aber im Rest stecken immer noch genug Spannung und Sex-Appeal, um in die Köpfe der Besucherinnen und Besucher vorzudringen.
SPRECHERIN
Einer der besten Kenner der Figur ist der ehemalige Direktor der Glyptothek, der Archäologe Raimund Wünsche. Der Star „seiner“ Ausstellung ist so positioniert, dass man ihn schon von weitem – durch mehrere Raumfluchten hindurch – sehen kann. So, dass man sich dem „unerhörten Anblick“ langsam annähern kann.
MUSIK ENDE
O-ton Raimund Wünsche:
Dargestellt ist ein Satyr, ein männliches Wesen mit leicht tierischen Zügen. Das kann man ganz gut sehen. Er kommt aus dem Rücken heraus, so ein kleines Schwänzchen, das hier nach vorne geführt ist, das man auch sieht.(..) Aber am besten erkennt man, dass es ein Satyr ist, wie er sich bewegt. So kann man in Griechenland nicht sitzen!
SPRECHER
So würde man auch heute nicht sitzen, normalerweise. Die Haltung ist die eines Volltrunkenen – totaler Kontroll- und Schamverlust.
SPRECHERIN
Die Pose kann man sich etwa so vorstellen: Vom Oktoberfest hat es einer nicht mehr ganz nach Hause geschafft – hat sich auf eine Parkbank fallen lassen – und hängt dort nun etwas schief, halb sitzend, halb liegend, mit leicht offenstehendem Mund. Die Beine fallen weit auseinander, das eine Bein am Boden, mit dem anderen stützt er sich auf der Parkbank ab.
SPRECHER
Ein wichtiger Unterschied zum typischen Oktoberfest-Bild: Der Mann in der Glyptothek ist komplett nackt. Nicht nur das Gesicht, sondern jeder Muskel im gut trainierten Körper erzählt vom Versuch, die Kontrolle über Körper und Geist wiederzugewinnen – oder nicht ganz aufzugeben.
O-ton Raimund Wünsche
Das Interessante ist, wie der Künstler hier fertigbringt,
nicht nur den Übergang vom Wachen zum Schlaf,
sondern auch in der Liegehaltung das vorherige Dasein,
was er gemacht hat auszudrücken, die Bewegtheit.
Er will also zeigen, das ist nicht irgendein Mensch, der schläft oder Eros, ein Liebesgott, sondern ist einer, der eigentlich gar nicht richtig schlafen kann, weil ihm tobt es noch immer im Kopf rum und sowas von seinen ganzen vorherigen Lustbarkeiten.
MUSIK „Ludi inter Pana atque nymphas“; ZEIT: 00:49
SPRECHERIN
Die Lustbarkeiten – dabei handelt es sich mutmaßlich um wilde Tänze, viel Wein und freie Liebe. Alles das gehört zur Sphäre und zum Machtbereich des griechischen Gottes Dionysos: Gott des Weines und der Ekstase, der Freude und der Fruchtbarkeit. Die Satyrn gehörten zu seinem Gefolge, bildlich zu erkennen an ihren Esels-oder Pferdeohren, Schwänzen und „barbarischen“ Gesichtszügen mit breiten Stupsnasen, weit entfernt vom griechischen Schönheitsideal.
SPRECHER
Die Trunkenheit der Satyrn zeigt die „göttliche Macht“ des Dionysos. So erklärten sich die Griechen das Phänomen des Alkohol-Rauschs. Die wesens-verändernde Wirkung des Weins schrieben sie seinem göttlichen Einfluss zu.
MUSIK ENDE
O-Ton Raimund Wünsche:
Junge Satyrn sind lebensfroh, lustig, geben im Grunde genommen auch ein Ideal wieder, dass man sagt, so kann man sich manchmal benehmen im gesetzten Rahmen. Und darum gab es auch Satyr-Feste, wo der Herrscher sogar Wein ausgab umsonst, damit sich alle wohlfühlen. Der Wein befreit von den Sorgen des Alltags. Das ist hier gegeben.
SPRECHERIN
Die Römer machten aus dem griechischen Dionysos den römischen Bacchus – und seine Begleiter, die Satyrn vermischten sich mit dem Bild eines altitalischen Wald-und Naturwesens: dem Faun.
SPRECHER
Und so taucht unsere Skulptur, die von heidnischen Feiern der Fruchtbarkeit und des Lebens erzählt, als Barberinischer Faun in den Annalen der Kunsthistoriker auf. In den 20-er Jahren des 17.Jahrhunderts, in der Zeit des Barock, in Rom.
Das Christentum hat da die heidnischen Götter längst verdrängt, über Rom herrschen die Päpste.
Irgendwann zwischen 1624 und `28 kommt der Faun dort ans Licht – er wird bei Bauarbeiten ausgegraben. Dass in Rom Zeugnisse der antiken Geschichte zum Vorschein kommen, ist nicht ungewöhnlich. Der Boden ist voll davon – doch diese Statue erregt sofort öffentliches Aufsehen.
O-Ton Raimund Wünsche
Da gibt es sogar Berichte, dass alle zusammenliefen, alle Künstler, um die zu sehen.
SPRECHERIN
Praktisch sofort nach ihrer Auffindung, kommt die Statue wieder unter Verschluss. Papst Urban VIII. ist ein barocker „Familienmensch“ – 12 Mitglieder seiner erweiterten Familie, den „Barberini“, macht er zu Kardinälen. Er schenkt den Faun seinem Neffen, Francesco Barberini. Und mehr noch: er verfügt mit päpstlicher Autorität, dass die Statue auf ewig Eigentum der Familie Barberini bleiben muss.
250 Jahre lang schmückt der Faun den Palazzo Barberini in Rom, bis die Französische Revolution und Napoleons Armee die alte Ordnung in Europa – und damit auch die Macht der alten römischen Clans – hinwegfegen. 1799 steht der Faun zum Verkauf.
MUSIK privat Take A2 “Christ Is Born Indeed”; Album: The Green Knight; Label: Sony Classical – 19439908171; Interpret: Bridget Samuels; Komponist: Daniel Hart; ZEIT: 00:59
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Und damit beginnt ein römisches Intrigenspiel, in dessen Verlauf der Faun mehrfach – teils unter Polizeischutz – quer durch Rom transportiert wird.
Die Familie Barberini versucht – nachdem sie den Faun zunächst an den Bildhauer und Kunsthändler Vicenzo Pacetti verkauft hat – die Statue zurückzubekommen, denn ihr Preis ist in der Zwischenzeit immens gestiegen. Dazu lassen sie ihren politischen Einfluss spielen: 1810 bringt die römische Polizei den Faun zurück in den Palazzo Barberini. Jetzt wird vor Gericht weitergestritten: Pacetti prozessiert gegen die Barberini und gegen seinen einstigen Partner, den Bankier Torloni, die Barberini prozessieren gegen Pacetti und untereinander.
Wem der Faun gehört, wird immer nebulöser:
MUSIK ENDE
O-Ton Raimund Wünsche
…. Und in dem Augenblick war dann, wo 1810,
Ludwig I., der war damals noch Kronprinz, der sehr gerne Antiken sammelte, dann seinem Agenten in Rom, Martin von Wagner, einem Bildhauer, sagt, er soll sich doch darum kümmern, ob man das nicht kaufen könnte. Und das ist dann schon fast eindrucksvoll, wie er das Allerwichtigste empfand, in diese Figur.
SPRECHERIN
Kronprinz Ludwig, Sohn des ersten bayerischen Königs Max I. Joseph, ist ein tief verunsicherter und zugleich schwärmerischer junger Mann. Er ist schwerhörig, stottert, und ist frustriert, weil sein Vater ihm viel weniger politischen Einfluss zugesteht, als er sich das wünscht.
Seine ganze Energie, und davon hatte er viel – steckt er in seine Sammelleidenschaft.
Dazu bedient er sich seiner Agenten, einer davon ein bärbeißiger Bayer mit losem Mundwerk und großem Kunstsachverstand: Martin von Wagner. Ein Bildhauer, den Ludwig dafür bezahlt, dass er in Rom lebt, und die Szene unablässig nach günstigen Kaufgelegenheiten abgrast. Er macht das gut, putzt Klinken in den römischen Adelshäusern, sammelt und streut Gerüchte und besticht Bedienstete, um an inoffizielle Informationen zu kommen. Ihn setzt Ludwig auf den Faun an.
O-Ton Raimund Wünsche
Und dann zieht sie das hin und dann ununterbrochen, fast in jedem Brief schreibt er, wie es mit dem Faun steht. … 1813 glückte es dann. Dann wird der Faun gekauft für 8000 Scudi.
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Ein enormer Preis. Martin von Wagner hatte ein Jahresgehalt von 600 Scudi. Doch mit dem Kauf des Fauns ist die Geschichte längst nicht abgeschlossen. Denn die päpstliche Regierung will den Faun nicht aus dem Land lassen. Um diese Hürde zu überwinden, setzt Ludwig auf die Hilfe eines weiteren „Agenten“ oder einer „Agentin“ – es handelt sich um eine der mächtigsten Frauen Europas. Zu der hat Ludwig gute Beziehungen – es ist nämlich seine Schwester: die österreichische Kaiserin Karoline Auguste.
MUSIK privat Take A3 “You Do Smell Like You've Been At Mass All Night”; Album: The Green Knight; Label: Sony Classical – 19439908171; Interpret: Bridget Samuels; Komponist: Daniel Hart; ZEIT: 01:08
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1819 kommt mit dem Besuch des Kaiserpaars in Rom eine einzigartige Gelegenheit. Der Plan: die österreichische Kaiserin soll dem greisen Papst Pius eine Bitte vortragen, die er nicht abschlagen kann.
Ihr Biograph stellte sich die Szene bei der Privataudienz etwa so vor:
ZITATORIN
„So bitte ich Euer Heiligkeit, antwortete Karoline „um die Herausgabe eines Gefangen“. „Eines Gefangenen? Frug verwundert Pius VII, und setzte hinzu: „Eure Majestät können sich für keinen Unwürdigen verwenden und haben mein Wort.“
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Und so kommt der „Gefangene“, der Barberinische Faun, frei. Kein Wunder, dass die Bayern sofort alles daransetzen, ihn so schnell wie möglich aus Rom wegzubringen. Notfalls auch mitten im Winter.
Dabei wäre die Statue beinahe im Inn versunken – so eine schwere Last hatte die Brücke in Kufstein noch nie tragen müssen. Man fürchtet, dass sie einstürzen könnte. Und baut dem Faun eine starke Notbrücke über den reißenden Fluss.
Am 6. Januar 1820 kommt der Faun dann glücklich in München an.
Staunend wird der Immigrant aus dem warmen Süden im Rohbau der Glyptothek empfangen. Leo von Klenze, Ludwigs Baumeister, gibt sich gönnerhaft.
MUSIK ENDE
O-Ton Raimund Wünsche
Und Klenze hat sich da ganz wunderbar gesagt, er wird jetzt bei der Kälte mit den Zähnen klappern, aber er ist am richtigen Platz, und man meint, das müsste man mit goldenen Lettern ins Buch der Stadt eintragen.
SPRECHERIN
Und der Faun lebt sich ein in seiner neuen Heimat. Erfüllt seine Rolle als Publikumsmagnet von europäischem Rang.
Stolz ist man auf dieses einzigartige Kunstwerk. Auch deshalb, weil es sich hier um ein griechisches Original handelt – nicht – wie bei so vielen anderen antiken Skulpturen, um die römische Kopie eines griechischen Originals.
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Man setzt einiges daran, diese These immer wieder zu bestärken – denn beweisen kann man es nicht, der „Herkunftsnachweis“ des Fauns ist lückenhaft.
Denn: als die Römer den Satyr bei einem ihrer Feldzüge in Kleinasien erbeuteten, haben sie damit auch alle Hinweise auf seinen ursprünglichen Kontext zerstört. Sie zweckentfremdeten das Werk wahrscheinlich als Brunnenfigur – darauf weist eine pietätlose Bohrung im Felsen unter dem linken Arm hin.
MUSIK privat Take 13 “The Peri (Zahra's Theme)”; Album: Prince of Persia: The Forgotten Sands; Label: Ubisoft Music; Interpret: Tom Salta; Komponist: Tom Salta; ZEIT: 00:45
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Über die ursprüngliche Heimat des Fauns ist wenig bekannt. Nur das: Der Marmorblock, aus dem er gemeißelt wurde, stammt aus einem Steinbruch in Kleinasien. Die Oberfläche der Statue ist gut erhalten, wenig verwittert, das weist darauf hin, dass der Faun wenig Zeit im Freien verbracht hat. Der Stil ist hellenistisch – genauer: weist auf eine Entstehung im 3.-2. Jahrhundert vor Christus hin. Mehr lässt sich über die Herkunft nicht sagen – oder gar über den Zweck der Statue – oder doch?
MUSIK ENDE
SPRECHER
Die amerikanische Kunsthistorikerin Jean Sorabella hat sich auf genau solche problematischen Fälle spezialisiert: heimatlose Gesellen ohne Herkunfts-Papiere, gestrandet in internationalen Museen. Vom „Faun“ ist sie sofort fasziniert: seine Ausstrahlung ist eine verstörende Mischung aus Sinnlichkeit und Fremdartigkeit:
O-Ton Jean Sorabella
OVERVOICE
Eines der Dinge, das einen wirklich beeindruckt, wenn man direkt neben ihm steht, das ist: wie groß er ist. Er ist so groß – so viel größer als man selbst! So wie er im Moment ausgestellt ist, ist der Kopf über Deiner Kopfhöhe – obwohl der Faun sitzt! Er ist also so viel größer als man selbst. Und ich habe den Eindruck, dass das – in gewisser Weise – diese sexuelle Ausstrahlung blockiert. Und stattdessen bekommt man das Gefühl, sich in der Nähe von etwas zutiefst Fremdem und Übermenschlichem zu befinden.
And one of the things that really impresses you when you're
right next to it, is how big it is. It's so big. It's so much bigger than you. Or, you know, it's, as it's displayed, its head is about where your head is, but it's sitting down. So it's so much bigger than you. And I feel like that, to some degree, sort of disables that sexuality. And instead, you become, you get the sense you're next to something profoundly alien and something that is really superhuman, that is larger than life
SPRECHERIN
Jean Sorabella versucht, zu rekonstruieren, wer und warum ein solches Kunstwerk in Auftrag gegeben haben könnte. In Frage kommt nur eine sehr wohlhabende, mächtige Person.
O-Ton Jean Sorabella:
OVERVOICE
Man vergisst oft, dass es in der Antike keine Museen, so wie wir sie heute kennen, gab. Auch keinen „Kunstmarkt“. D.h. dass kein Künstler Zeit und Mühe und die Kosten für das Material für die Herstellung einer so großen Statue wie dieser verschwendet hätte: es sei denn, er hatte einen sehr klar definierten Grund dafür.
I think it's easy to forget in ancient times, there were
no museums as we know them, there was no art market as we know it. So that no artist could have wasted his time and effort and the cost of the material on making a big statue like that, unless there was a very clear reason.
SPRECHER
Sorabella durchforstet jahrelang Forschungsbibliotheken nach Hinweisen - und findet irgendwann in einem Verzeichnis von Fragmenten griechischer Historiker die entscheidende Spur zu einem möglichen Auftraggeber.
Es geht um Antiochos IV. oder Antiochos Epiphanes (sprich: Antíochos Epifánes), der im 2. Jahrhundert vor Christus das mächtige Seleukidenreich in Kleinasien beherrschte. Von ihm heißt es in dem Fragment: er habe sich gern als Midas kostümiert.
Dieser Hinweis alarmiert Sorabella: denn von Midas gibt es eine Legende – wie er einen Satyr gefangen nimmt:
MUSIK privat Take 13 “The Peri (Zahra's Theme)”; Album: Prince of Persia: The Forgotten Sands; Label: Ubisoft Music; Interpret: Tom Salta; Komponist: Tom Salta; ZEIT: 01:05
ZITATOR
Der griechische Geschichtsschreiber Philostratos berichtet:
Midas wusste von seiner Mutter, dass ein Satyr vom Wein überwältigt, einschlafen würde, und sich danach freundlich verhalten würde. Also mischte er Wein aus seinem Palast in das Wasser einer Quelle. Der Satyr trank davon, und war gefangen.
SPRECHERIN
In einer der Versionen dieser Legende, ist es dieser Satyr, Silenos, der Midas einen Wunsch gewährt: Und der wünscht sich dummerweise, dass alles, was er anfasst, zu Gold wird.
SPRECHER
Aber: während Midas für uns heute vor allem ein Negativ-Beispiel für menschliche Gier ist, stand in der Antike möglicherweise ein anderer Aspekt seiner Persönlichkeit im Vordergrund. Midas sagenhafter Reichtum und seine Macht.
Der vom Wein überwältigte, oder gefangene Satyr, dieses wilde, fremde und machtvolle Wesen könnte damit für einen hellenistischen Herrscher ein Zeichen und eine Bestärkung der eigenen Macht gewesen sein.
MUSIK ENDE
O-Ton Jean Sorabella:
OVERVOICE
Ich habe sehr viele Belege für ein Phänomen gefunden, dass sich auch in anderen historischen Epochen zeigt: Etwas zu besitzen, etwas sehr exotisches und sehr bemerkenswertes, etwas, von dem die Menschen vielleicht geglaubt haben, dass es gar nicht existiert – ein solcher Besitz verleiht seinem Eigentümer Macht.
Wer das Horn eines Einhorns besaß, oder eine Reliquie der Dornenkrone, der glaubte, dieser Besitz würde ihn anderen Herrschern überlegen machen, in ihren Augen war das die Realität. Also: warum nicht ein Satyr? Einen Satyr besitzen? Wäre das nicht so, als hätte man – zumindest vorübergehend - Macht über einen der edelsten und schwer fassbarsten Götter?
I found all of these references that really showed that, and I think this is confirmed in other historical moments as well, that being the possessor of something very exotic or very remarkable, something that people have almost believed doesn't exist, confers power on the possessor of that person. So the people who believe they possess the unicorn's horn, the people who possess the relic of the crown of thorns, you know, owning these things, made them superior in their own eyes to other rulers, let's say, other very powerful people. So why not a satyr? Owning a satyr? Wouldn't that make you, or even holding on to one for a short time, that would make you really seem like you were in command of the earth's most precious and
most elusive goods, if you like?
SPRECHERIN
Es ist eine magische Denkfigur: und sie liefert eine hoch spekulative, aber verführerisch plausible Erklärung, für die Ausstrahlung des Faun: es geht nicht um Sex, sondern in erster Linie um eine Demonstration von Macht.
Vielleicht sah die Geburtsstunde des Fauns also so aus:
MUSIK privat Take 13 “The Peri (Zahra's Theme)”; Album: Prince of Persia: The Forgotten Sands; Label: Ubisoft Music; Interpret: Tom Salta; Komponist: Tom Salta; ZEIT: 01:04
SPRECHER
Im 2. Jahrhundert vor Christus gab ein hellenistischer Herrscher aus Kleinasien, der den mythischen König Midas als Vorbild betrachtete, und sich gern wie er kostümierte, und in einem Brunnen Wasser mit Wein zu mischen pflegte – dieser Herrscher, Antiochos mit Namen, gab die überlebensgroße Statue eines Satyrs in Auftrag, die den Höhepunkt aus einer Geschichte über Midas darstellen sollte: den Augenblick des Sieges über ein mächtiges, göttliches Wesen.
Vielleicht stand die Statue in seinem Palast, um Besucher zu beeindrucken und einzuschüchtern, vielleicht stand sie an einem heiligen Ort, zusammen mit anderen Figuren der Legende, die heute untergegangen sind.
SPRECHERIN
Lange stand er dort nicht, denn bereits im 2. Jahrhundert kämpfte das Seleukidenreich gegen das aufstrebende Rom ums Überleben.
Auch das lehrt die Geschichte: je schwächer die reale Macht, desto großspuriger das Imponiergehabe.
MUSIK ENDE
O-Ton Jean Sorabella:
OVERVOICE
Eine der eher ernüchternden Lektionen dieser sehr alten Geschichte ist, dass manchmal, als Ergebnis eines sehr hässlichen Wettbewerbs, oder sogar eines Scheiterns, sehr beeindruckende Kunst entstehen kann.
And one of the sort of sobering lessons, I think, of this very ancient history is that sometimes out of a very ugly competition, even out of a failure, can come very successful works of art.
MUSIK „The vikings & the barons”; ZEIT: 00:53
SPRECHER
Der Faun fasziniert uns auch heute noch durch die Rätsel, die er uns aufgibt. Er lässt uns den Höhepunkt einer Geschichte erleben, deren Anfang und Ende wir nicht kennen. Was passierte, bevor er einschlief? Und was geschieht, wenn er die Augen wieder aufschlägt?
Das verleiht ihm eine Lebendigkeit, deren Magie sich kaum jemand entziehen kann. Der französisch-amerikanische Fotograf und Schriftsteller Julian Green besuchte 1950 die geschlossene, vom Krieg schwer gezeichneten Glyptothek.
ZITATOR Julian Green:
Man geht durch weite Säle unter offenem Himmel, deren Mauern die Spur der Flammen tragen. Der Faun steht in einer Ecke, unter einer Art Dach, das man ihm aus Brettern errichtet hat. Er ist vom Schlaf übermannt. Man kann kaum über diese Statue sprechen, ohne in eine Begeisterung zu verfallen, die mir fremd ist. (...) Es ist die sinnlichste Statue der Welt.
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